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Wie die Seitenraddampfer auf die Oberelbe kamen

Auch wenn die Sachsen dafür bekannt sind, vischelant, also clever zu sein – mit der Schifffahrt auf der Elbe taten sie sich schwer. Während Frankreich schon um 1800 seine Flüsse von Dampfschiffen befahren ließ, lehnten König Friedrich August II. und der Dresdner Stadtrat derartige Gesuche hiesiger Kaufleute uninteressiert ab. In der Bevölkerung dagegen grassierte eine unheimliche Angst vor den „Höllenmaschinen im Schiffsbauch“.

Angestoßen durch Heinrich Wilhelm Calberla, den Besitzer einer Zuckersiederei in Dresden, kam es nach 1830 aber doch zur Gründung der Elbdampferschiffahrts-Gesellschaft. Johann Andreas Schubert, Erbauer der ersten deutschen Dampflokomotive, konstruierte auch die ersten beiden Elbdampfer. Dabei wurden die Schiffsrümpfe auf der Dresdner Vogelwiese gebaut und später in Übigau fertiggestellt. Die „Königin Maria“ hatte ihren Stapellauf 1837 von der Marienbrücke nach Meißen und selbst der bekehrte König ließ sich kurz darauf samt Familie von Pirna nach Pillnitz schippern.

Dass jeder, der dieses Schiff sah, sich vor Begeisterung nicht fassen konnte, lag auch an seiner einmaligen Ausstattung. „[Es] hat so ein imposantes Aussehen und ist so schön bemalt, dass man meint, es sei von Porzellan gefertigt“, schrieb die Presse. Nur knapp zehn Jahre später musste die „Königin Maria“ wegen technischer Unzulänglichkeiten ausgemustert werden. Verewigt wurde sie in der Erfinderserie des DDR-Comics „Mosaik“, in der die Digedags den König doch tatsächlich zu einer Dampferfahrt einladen.

 

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Vor Eiben kein Zauber kann bleiben

Und so pflanzten sie die Menschen schon in grauer Vorzeit als Schutz vor allem Übernatürlichen um ihre Behausungen. Der immergrüne Baum, überall in Europa heimisch, ist aber auch in all seinen Teilen – bis auf die rote Samenhülle – äußerst giftig. Plinius warnte, man solle besser nicht aus Eibenholzbechern trinken, selbst die Ausdünstungen des Baums könnten arglose Schläfer das Leben kosten.

Für die Kelten war die Eibe als Druidenbaum heilig, sie nutzten ihren toxischen Saft aber auch ganz pragmatisch zum Imprägnieren von Pfeilspitzen. Die Germanen wiederum sahen sie als ein Symbol für das ewige Leben und man munkelt, dass die Weltenesche Yggdrasil wohl eher eine Eibe war. Deren mystische Bedeutung wundert nicht, braucht der Baum doch Jahrzehnte, bis er seine endgültige Größe erreicht hat, während später herunterhängende Äste sich im Boden neu verwurzeln und Wurzeln im hohlen Inneren alter Exemplare neue Stämme bilden können.

Ab dem Spätmittelalter begann die Übernutzung des Baums, sein hartes, aber sehr biegsames Holz wurde vor allem für die Herstellung von Bögen und Armbrüsten gebraucht. Der Raubbau war immens, so exportierte die Stadt Nürnberg allein im Jahr 1560 die gewaltige Menge von 36.000 Eibenbögen. Zehn Jahre später gab es in ganz Bayern keine Eibe mehr zu schlagen. Heute ist sie in Europa selten geworden.
Die älteste Eibe von Meißen steht am Eingang zur Freiheit Nr. 9 und streckt ganz friedlich und seit 500 Jahren ihre zerklüfteten Arme im Garten der Superintendentur gen Himmel. Von Schaden an Mensch oder Tier wurde bisher nichts berichtet.

 

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Fischer und seine Frau unterm Burgberg

Einstmals war die Elbe einer der fischreichsten Flüsse Europas, sogar Störe wurden hier gefangen und die Lachse waren so häufig, dass der Fisch als Arme-Leute-Essen galt. So wundert es nicht, dass sich auch in Meißen Fischer ansiedelten, die ihre frische Ware an Händler auf dem Stadtmarkt verkauften.

Praktischerweise bauten sie ihre Häuser knapp außerhalb der Stadtmauer am Fluss, wo sie auch ihre Netze trocknen konnten. Heute ist das Ensemble der Fischerhäuser selbst außerhalb Meißens bekannt. Auf der Siebeneichener Straße in Richtung Dresden, kurz vor der alten Elbbrücke, kann man die noch komplett erhaltene Siedlung bewundern. Man sieht den hübschen, bunten Häuschen, die sich unter einem Hang ducken, nicht mehr an, dass sie noch Anfang der zweitausender Jahre ein schlimmer Sanierungsfall waren. Nur durch großes privates Engagement konnten diese Schmuckstücke der Volksarchitektur gerettet werden.

Und was wurde aus den Elbfischen? Über die hält wohl Bischof Benno seine segnende Hand. Hatte doch der Heilige einstmals auf der Flucht den Schlüssel zum Meißner Dom in die Elbe geworfen. Nach seiner Rückkehr fand dieser sich im Bauch eines ihm servierten großen Fisches wieder. Lachse jedenfalls wurden nach der Wiedervereinigung in Sachsen wieder angesiedelt, mit kleinem, aber immerhin schon sichtbaren Erfolg. Richtige Fischer jedoch gibt es in Meißen schon seit mehr als fünfzig Jahren nicht mehr.

 

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Schwarze Pädagogik aus der Konditorei

Glaubt man der Legende, wurde mit dem Meißner Fummel ein Albtraum für königlich-sächsische Kuriere wahr. Vorbei die weinseligen Zwischenstopps in der Stadt unter dem Burgberg, wo man sich nicht nur stärken, sondern auch prachtvoll betrinken konnte. Ob es nun wichtige Depeschen waren, die den Hof zu spät erreichten, oder das transportierte Porzellan zu oft zerbrach – der König war nicht amüsiert und sann auf Abhilfe.

So erhielten die Meißner Gasthäuser den Befehl, ein höchst zerbrechliches Gebäck zu entwickeln, das sie jedem Reiter, der bei ihnen einkehrte, zu überreichen hatten. Ein betrunkener Bote konnte das gute Stück bei Hofe vermutlich nicht heil vorweisen, mit für ihn betrüblichen Folgen.

Nachweisbar ist der Fummel – ein recht geschmackloser Hohlkörper aus hauchdünnem Teig – seit 1747, manche verorten das Rezept schon viel früher oder sehen seinen Ursprung in der osmanischen Küche, war doch der Genuss à la turc im Sachsen des Rokoko sehr beliebt. Wie dem auch sei: Jedes Paar, das heute in Meißen heiratet, bekommt als Symbol für die Zerbrechlichkeit der Liebe einen Fummel überreicht.

 

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Von Goldriesling und Scheurebe

Spricht jemand von Meißner Wein, denken viele sofort an Schloss Proschwitz oder Vinzenz Richter und haben damit nicht Unrecht. Steht das eine für Sachsens ältestes noch existierendes Weingut, ist das andere nicht nur auch eins, sondern besitzt mit gleichnamigem Gasthaus ein Wahrzeichen der Stadt. 1523 als Zunfthaus der Tuchmacher gegenüber der Frauenkirche gebaut, ist es eins der wenigen Fachwerkhäuser Meißens, die die Jahrhunderte überlebt haben. Wer zum Domberg will, muss an ihm vorbei, zumindest wenn er die direkte Route vom Markt aus wählt.

Der Weinbau in Meißen ist dabei älter als die Stadt. Schon das Heer König Heinrichs I. soll im Gau Nisan Rebstöcke vorgefunden haben. Dass das der Legende widerspricht, Bischof Benno hätte die Reben mitgebracht, ist nicht weiter schlimm. Denn tatsächlich waren es Kirche und Klöster, die den Anbau vorantrieben, brauchten sie doch Wein für die Eucharistiefeier und als Desinfektionsmittel (!) in ihren Hospitälern. 1195 erwarb das Zisterzienserkloster Altzella das Dorf Zadel bei Meißen und machte es zum Elbtaldorf mit der ältesten nachgewiesenen Weinbautradition. Östlich des Dorfes beginnen übrigens die Proschwitzer Weinberge.

Die Gründung der Sächsischen Weinbaugesellschaft 1799 und der Winzerschule auf dem Meißner Fürstenberg – beide die ersten in Europa – zeigen, wie sehr man sich in Sachsen um die Reben sorgte. Unzählige internationale Prämierungen, die Meißner Weine heute einfahren, geben den Altvorderen Recht. Eine Besonderheit kommt hinzu: Der köstliche Goldriesling wächst fast nur noch hier.

 

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Filzschuhlauf durch sächsische Geschichte

Wer als Kind nicht wenigstens einmal in riesigen Museumspantoffeln über die Böden der Albrechtsburg geschlittert ist, hat einen großen Spaß verpasst. Für manche der kleinen Besucher ist der Parcours auf Latschen das Schönste in der Burg, Eltern und Lehrern aber bricht oft der Schweiß aus, wenn es daran geht, ihre flinke Herde wieder einzufangen. Besonders die Große Hofstube ist ein Pantoffelschlittschuhparadies, das allerdings für ganz Wilde auch unangenehme Überraschungen bereithält, Beulen vom Hinfallen inklusive. Dass sie nebenbei auch noch etwas lernen, fällt den Kindern oft erst viel später auf.

Die Idee, wertvolle Böden mittels Filzpantoffeln gleichzeitig zu schonen und zu polieren, kam einigen Museumsbetreibern schon vor 140 Jahren. Mittlerweile ist die Pantoffel-Ära vielerorts auf dem Rückzug, meint man doch, dass durch Steinchen in den Filzsohlen den Böden eher geschadet als genutzt wird. Meißen lässt sich davon nicht beeindrucken, hier gibt es sie weiterhin und das wunderschöne Parkett bedankt sich mit großem Glanz.

Museumspantoffeln versehen erstaunlicherweise zwischen zehn und zwanzig Jahren ihren Dienst, dann müssen sie ersetzt werden. Ob die Meißner zur Pflege der Überschuhe allerdings eine sogenannte Ausklopfmaschine haben, in deren Metalltrommel die schmutzigen Latschen umhergewirbelt werden, dass es nur so staubt, oder ob das Personal brav jeden einzelnen Schuh ausklopft, ist nicht bekannt. Auch nicht, ob sich das Museum bei der erzgebirgischen Pantoffelfirma Seidel in Sehmatal-Cranzahl eindeckt. Aber soweit sollte sächsischer Stolz auf sächsisches Handwerk eigentlich schon gehen.

 

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“Für die Kehle und den Magen
sorgt Mitropa-Speisewagen.”

Die wunderschönen Wagen in bordeauxrot fahren schon lange nicht mehr und auf den Flohmärkten machen sich dickwandige Tassen und Kännchen mit farbigen Rändern breit: letzte Erinnerungen an ein 2006 untergegangenes Unternehmen, das ein anderes Ende verdient hätte. Die mitten im ersten Weltkrieg gegründete Mitteleuropäische Schlafwagen- und Speisewagen-Aktien-Gesellschaft hat jedenfalls deutschte Reisegeschichte geschrieben und hielt Schlaf- und Speisekomfort für jedes Portemonnaie bereit.

Wer sich nur an die leicht schmuddeligen Exemplare der DDR-Zeit erinnern kann, wird erstaunt sein, dass in den 1920ern sogar Salon- und Schlafwagen des ehemaligen kaiserlichen Hofzuges gekauft wurden und im Luxuszug Berlin-London-Express zwischen der Reichshauptstadt und Hoek van Holland verkehrten: Clubsessel, Silberbesteck, Rheinlachs und drei Hausmarken der Mitropa-Weinkellerei inklusive. Leider wurden die Wagen schon ein paar Jahre später abgeschafft und dieser Komfort nie wieder erreicht.

Eine Besonderheit waren die Mitropa-Bahnhofsrestaurants, die sich in der DDR lange hielten und manchmal wirkliche architektonische Schmuckstücke waren. Aber auch die Meißner Mitropa hatte ein ausgesprochenes Highlight aufzuweisen, natürlich – wie konnte es anders sein – aus Porzellan.
Seit es dem Unternehmen 1929 von der Meißner Manufaktur geschenkt wurde, verspeiste man hier bis 1992 Strammen Max und Bockwurst mit Kartoffelsalat unter einem monumentalen 24-armigen Kronleuchter, gefertigt nach einem Modell von Johann Joachim Kändler und geschmückt mit allerlei Zierat, Vögeln und musizierenden Figuren. Heute hängt er als Leihgabe der Deutsche Bahn AG im Stadtmuseum.

 

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Ein äffischer Musikantenstadl

Johann Joachim Kändlers imposantestes Unternehmen war wohl die Herstellung des Schwanenservices für den Grafen Brühl, bestand es doch aus nahezu 2.000 Teilen und veränderte den Charakter des europäischen Porzellans: neben die Malerei traten plastische Verzierungen und Figuren, als Tischdekoration und oft auch in Tierform. Wen wundert es, dass Kändlers Affenkapelle, die er 1753 schuf, zu einem wahren Verkaufshit wurde.

Affen als parodistisches Sujet gab es schon sehr viel früher, bereits im 16. Jahrhundert konnte man sie auf flämischen Gemälden bewundern. Zur Hochform lief die Singerie (von französisch singe = Affe) aber mit dem Exotismus des Rokoko auf. Nun findet man die amüsanten Tierchen überall, auf Wänden und Decken in Salon und Boudoir, aber auch auf Porzellan, Textilien und Möbeln treiben sie ihren Unfug und halten den Menschen einen satirischen Spiegel vor. Besonders bekannt wird der französische Tiermaler Christophe Huet, der nicht nur einige Pariser Häuser, sondern auch einen Salon für Madame de Pompadour dekorierte. Nach Stichen seiner Gemälde modellierte Kändler die erste Kapelle und die entzückte Marquise erwarb ein Exemplar noch im selben Jahr.

Die fröhlichen Figuren in Allongeperücken und Kavalierskostümen, zierlich bemalt und ihre Instrumente schwingend, begeistern immer noch so sehr, dass 2018 alle einundzwanzig Mitglieder der Affenkapelle aus einem Meißner Antiquitätengeschäft gestohlen wurden.

 

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Meißner Schweinereien

Die Lommatzscher Pflege nordwestlich der Stadt war mit ihren hervorragenden Lößböden schon ackerbauliches Gebiet, als dort im 8. Jahrhundert noch die Daleminzier lebten. Später wurde sie zur Kornkammer Sachsens und so wundert es auch nicht, dass hier der Ursprung einer ganz besonderen Schweinerasse liegt.

Man kann es sich heute vielleicht nicht vorstellen, aber bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts glichen Hausschweine noch sehr ihren wilden Verwandten. Als in dieser Zeit die Nachfrage nach Schweinefleisch stieg, begannen Meißner Landwirte, ihre Tiere mit englischen Rassen zu kreuzen, um sie frühreifer und mit sehr viel mehr fleischernem Ertrag zu züchten. In den 1880er Jahren erhielt diese Sorte den heute sicher nicht mehr durchsetzbaren Namen „Meißner Gebrauchsschwein“, viele Preise und wurde eine der Ausgangsrassen des sogenannten veredelten Landschweins. Um spätestens 1930 verdrängte dieses seinen Meißner Kollegen und schließlich blieb nur noch der Nossener Landwirt Rolf Merzdorf übrig, bei dem es – allerdings nicht mehr sortenrein – auch die an ihm nicht interessierte DDR überlebte.

Nach der Wende versuchten Züchter der Lommatzscher Pflege, das Meißner Schwein wieder rückzuzüchten. Es ist ein ausgesprochen hübsches Tier mit seinem langen, tonnenförmigen Rumpf, den Schlappohren und der weißen Behaarung, und auf dem Regionalmarkt sehr beliebt. Dresdner übrigens können sich nach ihm im Schillergarten erkundigen.

 

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Zartes Porzellan im trutzigen Stein

Eine Burg, zumal wenn sie auf einem Berg steht, braucht Schutz vor dräuenden Feinden und allen anderen, die den Bewohnern übelwollen. Und was schützt besser als wehrhafte Tore mit Schießscharten und allem Drum und Dran. Der Meißner Burgberg hat deren zwei, das äußere durchschreitet man vom Afraberg kommend, geht dann über die um 1225 errichtete trutzige Schlossbrücke und weiter durch das im 19. Jahrhundert umgebaute, ursprünglich gotische Mitteltor zum Domplatz.

Als kriegerischer Schutzpatron prangt links über dem Torbogen und in Mosaik gefasst der Heilige Georg, grad befindlich im Kampf gegen den Drachen. Eine hübsche Verbindung zu dem Maler Ludwig Richter, der so viele Legenden und Märchen illustrierte und nebenan im Burglehnhaus, Domplatz Nr. 14, mitsamt seiner Familie lebte. Acht Jahre lang war er Lehrer an der Zeichenschule der Porzellanmanufaktur und verließ Meißen erst, als das Institut 1836 aufgelöst wurde. Von der „entzückend schönen Aussicht“, die der Blick auf die romantische Umgebung bot, schwärmte er noch in seinen Lebenserinnerungen.

Heute beherbergt das Torhaus den Verein zur Förderung zeitgenössischer Porzellankunst, der von der Künstlergruppe „Weißer Elefant“ gegründet wurde und hier verschiedene Ausstellungen zeigt. Den Porzellanmodellierer Christian Kändler, Bruder des berühmten Johann Joachim und zeitweiligen Besitzer des Hauses, hätte das sicher sehr interessiert.

 

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A, B, C

Es führen mehrere Wege zur Meißner Burg, einer davon ein Stufenweg, der sogenannte Seelensteig. An ihm entlang läuft eine Futtermauer (eine Stützwand, mit der steile Hänge verkleidet werden), in die unterhalb der Schule St. Afra ein Monogrammstein eingelassen ist. Er zeigt die vier ersten Buchstaben des lateinischen Alphabets, in barocker Manier ineinander verschlungen. Wenn man sie lange genug betrachtet, kann man auch alle anderen Buchstaben (I = J) erkennen.

Um 1690 standen hier Gebäude, die dem kurfürstlichen Beamten Christoph Beyer und dessen Ehefrau Anna Elisabeth gehörten, vielleicht zeigt der Stein ihre Initialen. Möglich auch, dass sie zur Erinnerung an das Meißner Kanzleideutsch gemeißelt wurden, in das Martin Luther die Bibel übersetzte. Deshalb wird der Stein auch Lutherstein genannt. Unüblich waren solche Monogrammsteine im Barock nicht und dieser befand sich vermutlich als Schlussstein über einem Tor.

Der Name Seelensteig rührt von einem Haus der Meißner „Seelnonnen“ her, andernorts Beghinen genannt. In diesen Gemeinschaften führten alleinstehende Frauen ein asketisches Leben und verdienten ihren Unterhalt auch mit der Grabpflege und Gebeten für die Verstorbenen. So führte ein Pfad vom Haus, das es nicht mehr gibt, hinunter zum alten Stadtfriedhof. Heute sind das die Superindenturstufen.

 

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Das Kachelwunder von Meißen

Beim Spaziergang durch die Domstadt, vor allem, wenn er altbekannte Pfade verlässt, fallen dem aufmerksamen Besucher interessante architektonische Details ins Auge: ein Marabu an einer Fabrikmauer, ein imposanter Jugendstileingang, witzige Bullaugenfenster an einer Großgarage, aber auch ganze Häuser: alles sehr bunt, glänzend und aus keramischen Fliesen gefertigt.

Verantwortlich für diese als Freiluft-Musterkarten bezeichneten Verzierungen ist die im rechtselbischen Stadtteil Cölln gelegene Firma Bidtelia. Vom Apothekenbesitzer Johann Georg Julius Bidtel 1861 gegründet, spezialisierte sie sich unter seinem Schwiegersohn Felix Ohm auf die Herstellung keramischer Fliesen und Glasuren. Erste Partner waren die Kachelofenfabriken der Gebrüder Teichert, aber schon bald verbreiteten sich mit Aufkommen des Jugendstils Bidtelias fröhliche Pastelltöne und sanft schimmernde Kachelfronten buchstäblich über die Welt.

Ohms größter Coup wurden die Entwicklung der sogenannten persischen Farbpalette und die Umsetzung der wiederentdeckten altorientalischen Baukeramik mit neuen technischen Mitteln. So kam es, dass bei der Rekonstruktion des berühmten Ischtar-Tores im Pergamonmuseum Berlin die Ziegel mit Materialien der Bidtelia hergestellt wurden.
Auch heute kann man die traditionellen Wandfliesen erwerben. Eine neue Musterkarte ist in den Räumen des restaurierten Hotels Ross gleich am Bahnhof zu besehen.

 

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Mit der Röhrfahrt in Brunnen und Braukessel

Eine mittelalterliche Stadt brauchte zur Versorgung ihrer Einwohner möglichst viele Wasserstellen. So auch Meißen, dessen Bürger spätestens seit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts ihr Wasser aus öffentlichen Wasserkästen – meist einfach gemauerte Tröge – holen konnten. Mittels aufgebohrter Holzstämme, die durch Metallbuchsen verbunden waren, wurde das Wasser aus Quellbrunnen und Bächen in einem ausgeklügelten System durch das Stadtgebiet geführt. Dabei nutzte man geschickt natürliche Gefälle, baute Rückstaubecken und verwendete Siebe, um das Wasser bei der Einspeisung von Verschmutzungen reinzuhalten. Solche Rohrleitungen trugen in Sachsen den sprechenden Namen Röhrfahrt.

Aber nicht nur für solch profane Zwecke waren die Röhrfahrten wichtig. Wasser brauchte man auch zur Herstellung von Bier, diesem seit Urzeiten geschätzten Lebensmittel, das früher von jeder Hausfrau hergestellt wurde. Später lag auf bestimmten Grundstücken das Recht, drei, vier oder mehr Sorten Biere zu brauen, und so hatten manche Häuser wie das Bahrmannsche Brauhaus An der Frauenkirche 3 sogar einen eigenen Röhrfahrtanschluss.

Von ehemals neun Meißner Röhrfahrten sind die Schloss- und die Klosterröhrfahrt heute noch intakt. Und auch wenn es nicht trinkbar ist, fließt das Wasser wie einstmals in städtische Brunnen vor der Frauenkirche, auf dem Theaterplatz oder vor dem Café Zieger.

 

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Klingendes Porzellan zum Gotteslob

Was hätte wohl der berühmte Porzellanmodellierer Kändler zum Glockenspiel der Meißner Frauenkirche gesagt? Versuchte er sich doch seit 1732 am Bau solcher Stücke, die leider an ihrer Unstimmbarkeit litten und deren erstes sich noch in der Dresdner Porzellansammlung findet. Erst mit der Tausendjahrfeier Meißens 1929 wurde das Problem befriedigend gelöst und seither hängen in einem gotischen Turmfenster hoch über dem Kopfsteinpflaster 37 Porzellanglocken, die der Stadt alle Viertelstunde die Uhrzeit herbeiklingeln. Doch nicht nur das. Alle drei Stunden ertönt einer von sechs Chorälen, und so steht der Meißner mit „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ auf und geht mit „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ zu Bett.

Die Stadtbewohner scheinen vom feinen Klang des Porzellans so eingenommen, dass sich auch an eine die Jehmlich-Orgel in der Frauenkirche ergänzende Porzellanorgel gewagt wird. Wie beim Glockenspiel gab es erste Versuche zur Herstellung von Porzellanpfeifen bereits im Barock, als der stets in Geldnöten steckende August II. von Böttger eine solche Orgel verlangt hatte. Erst dem Hobbyorganisten und ehemaligen künstlerischen Leiter der Manufaktur Ludwig Zepner gelang es zusammen mit dem Orgelbauer Horst Jehmlich, im Jahr 2000 diesen Traum zu verwirklichen.

Die meisten Porzellanglockenspiele gibt es in Sachsen, die Porzellanorgel wird vorerst weltweit einmalig sein. Und man sollte es nicht meinen, aber klingende Glocken und Pfeiffen lassen sich bis jetzt nur aus Meißner Kaolin und dem daraus gebrannten Porzellan herstellen. König August wäre es eine Freude gewesen.

 

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Wie ein Maurer-Club durch die Jahrhunderte wanderte

Winkelmaß und Zirkel kennen viele als Zeichen der Freimaurer, dabei waren sie schon zu Zeiten des gotischen Kathedralbaus Attribute der Steinmetze und Baumeister. Während viele Gewerke am Dom sich in Bauhütten sammelten, bildeten die Steinmetze Bruderschaften ungeachtet von Stand und Nationalität, in denen sie herumreisten, sich organisierten und ihr handwerkliches Wissen weitergaben.

Aus diesen Bruderschaften entstanden im England des 16. Jahrhunderts die ersten Freimaurerlogen, deren Organisation und Rituale auf den Ordnungen der Steinmetze fußten und die viele Symbole der meist leseunkundigen mittelalterlichen Handwerker übernahmen. Selbst der Begriff des Stuhlmeisters stammt von dort. Wie ein Steinmetz arbeitet der Freimaurer an sich selbst als dem rauen Stein, dessen unvollkommene Oberfläche behauen und geglättet werden muss, so dass er zu einem besseren Menschen und damit das Bauwerk der Welt harmonischer werde.

In Meißen sind Freimaurer seit 1768 nachgewiesen, die Loge „Zur Akazie“ gründete sich knapp hundert Jahre später und fand ihren Sitz in der historischen Jakobskapelle. Nach vielerlei Wirrungen und Verboten gibt es seit der Wende auch in der Domstadt wieder freimaurerisches Leben unter den Zeichen der alten Steinmetzbruderschaft.

 

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Die betrübte Sonne vom Theaterplatz

Ein bisher leider nicht saniertes Baudenkmal findet sich mit dem Gasthaus Zur Goldenen Sonne gleich neben dem Theater. Hier, wo sich zur Stadtgründung um 1200 noch der Elbhafen befand, stand später das Bischöfliche Brauhaus und noch später ein größerer Gebäudekomplex, von dem sich nur dieser 1561 errichtete Renaissancebau erhalten hat.

Berühmt im ganzen Umland wurde er, als die Besitzer in der Mitte des 19. Jahrhunderts den angrenzenden Gebäudeteil umbauten und Die Sonne zum ersten Meißner Gasthof mit Saalbetrieb machten. Hier lud man zum Tanztee, ging zum Billard oder besuchte die Asphalt(!)-Kegelbahn. Um die Jahrhundertwende schließlich, als es im kleinen Meißen mehr als 300 Kneipen gegeben haben soll, besaß Die Sonne das größte Balletablissement der Stadt, in dem ab 1918 auch Filme gezeigt wurden.

Nachdem es lange Zeit ausschließlich als Kino genutzt wurde, steht das Haus unter dem roten Walmdach seit 1991 leer. Im Inneren des Renaissanceteils sollen sich schön profilierte Holzbalkendecken erhalten haben, wie auch viele Details mit Wandschränken, Nischen und Konsolen. Die Haustafel mit der glänzenden goldenen Sonne schließt mit den Worten „DOMINUS PROTECTIO MEA“, der Herr ist mein Schutz. Ein Wunsch, dem der Betrachter sich anschließen möchte.

 

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5

In Arte Voluptas (In der Kunst liegt Lust) – Anno uhui 162

Ein Uhu ist das Wappentier des fröhlichen Vereins der Schlaraffen, der sich 1859, dem Jahr 0 schlaraffischer Zeitrechnung, in Prag als Gegenentwurf zu einem saturierten Künstlerverein gründete und bald über die Welt verbreitete. „Männer in gesicherter Position“ fanden sich zusammen, um in selbstironischer, intelligenter Manier alltägliche „Wichtigkeiten“ aufs Korn zu nehmen, aber auch das Interesse an den Künsten wachzuhalten.

Die Treffen finden immer noch in Form eines Ritterspiels statt, mit allerlei Regeln und Ritualen, die die Eitelkeiten der Gesellschaft spielerisch persiflieren. Vor jedem Neuling liegt der Weg vom Pilger zum Knappen, bei Bewährung folgt der Ritterschlag. Phantasievolle Helme, hölzerne Schwerter, ritterliche Rüstungen (aus Stoff) und Orden verleihen die nötige Würde. Die ausschließlich deutsch-schlaraffisch sprechenden Mitglieder sind in Rey(i)chen und Colonien organisiert, die Meißner Zelle wurde nach Verbot durch die Nazis und die DDR 2017 wieder ins Allschlaraffia aufgenommen.

Wer am Schaufenster von Brück und Sohn am Markt stehenbleibt, trifft zwar nicht mehr auf Postkarten und Adventskalender, dafür öffnet sich dem Passanten ein schlaraffischer Einblick. Und wer an der Ernsthaftigkeit der ganzen Sache zweifelt: selbst Gustav Mahler war seinerzeit begeisterter Schlaraffe.

 

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4

Auf dem Weg zur Albrechtsburg

Ein fein gearbeitetes Sandsteinportal aus der Zeit der Renaissance führt auf den Jahnaischen Hof, er liegt an der holprigen Zufahrt zur Albrechtsburg. Hinter den Mauern verbirgt sich nicht nur ein Haus mit Jahrhunderte alter Geschichte, im Sommer wird der Garten auch zum Konzertplatz und lädt zu Vernissagen zeitgenössischer Kunst in die kleine Galerie im Hause ein.
Eine Rarität des Gebäudes ist die Schwarze Küche mit ihren von Ruß schwarz gefärbten Wänden. Auch heute wird in ihr manchmal gekocht.
In Schwarz- oder Rauchküchen bereitete man die Speisen auf offenem Feuer zu. Man hängte die Kessel an einen Haken und konnte mit dem jeweiligen Abstand zur Flamme die Hitze regulieren. Ein gemauerter Funkenhut fing dabei die herumfliegenden Funken auf. Neben der Brandgefahr waren die Küchen auch deshalb nicht ganz ungefährlich, weil das beständige Einatmen rauchbelasteter Luft die Gesundheit der Bewohner schädigte. Dafür konservierte der Rauch das Gebälk, hielt Ungeziefer fern und konnte zum Räuchern benutzt werden.
Das Jahr 1735 revolutionierte die Kochkunst – der Architekt François de Cuvilliés der Ältere erfand für die Münchner Amalienburg den ersten geschlossenen Herd: Er versah den rundum gemauerten Feuerkasten mit einer durchbrochenen Eisenplatte. Durch die Löcher züngelten die Flammen und erhitzten so die Töpfe.

 

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3

»Ähnliches durch Ähnliches«

»Noch nie«, notierte im Jahre 1822 ein unbekannter Schreiber, habe ein »so wenig begründetes System solch reissende Fortschritte gemacht«. Sogar »in den gebildeteren Klassen« habe die neue Therapie »Eingang und Vertheidiger« gefunden.

Auch wenn sich bis heute die Geister über Wirk- und Unwirksamkeit seiner Lehre streiten, ist der Begründer der Homöopathie Samuel Hahnemann aus der Heilkunde nicht mehr wegzudenken.
1755 wurde er in Meißen geboren, studierte Medizin und Pharmazie in Leipzig und Wien, war mit einundzwanzig Ortswechseln in nur sechs Jahren ein wahrer Unruhegeist und mit führenden Geistesgrößen seiner Zeit bekannt. Er startete 1790 einen Selbstversuch mit Chinarinde als Arznei gegen Wechselfieber. Als er, obwohl gesund, darauf an Schüttelfrost und Fiebersymptomen litt, entwickelte er daraus das Ähnlichkeitsprinzip und heilte fortan im Gegensatz zu seinen schulmedizinischen, oft nicht zimperlichen Kollegen auf sanfte Weise.

Mit homöopathischen Tropfen, Pulvern und Streukügelchen behandelte er so bemerkenswerte Personen wie den ertaubten Beethoven, den großen Goethe oder den Geigenvirtuosen Paganini.
Aufgrund seiner Verdienste wurde er 1841 zum Ehrenbürger von Meißen ernannt.

 

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Von der Sturmleiter in die Große Hofstube

Es war im Jahr 929, als der Sachsenherzog und ostfränkische König Heinrich I. während seines Feldzuges gegen die Elbslawen den Berg über dem Fluß erstürmen ließ und dort sein ständiges Feldlager aufschlug. Nicht viel später befahl er eine hölzerne Wehranlage zu errichten, um die gewonnenen Gebiete zu schützen und eine Verteidigungsmöglichkeit gegen slawische Fürsten und die immer wieder einfallenden Ungarn zu haben.

Die Wehranlage wurde zur Burg Misnia erweitert, am Fuße des Burgbergs entwickelte sich das gleichnamige Dörfchen zu einem Marktflecken und schließlich wurde die gesamte neu geschaffene Grenzmark ebenso nach der Burg benannt wie das etwas später gegründete Erzbistum. Hier liegt die Wiege des heutigen Sachsens, das mit dem ursprünglichen (Nieder-)Sachsen König Heinrichs nicht viel mehr als den Namen gemein hat.

Die Skulptur König Heinrichs steht mit sechs anderen lebensgroßen Holfzfiguren wettinisch-sächsischer Herrscher in der Großen Hofstube der Albrechtsburg, wo sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Hofgesellschaft aufhielt und zu tafeln pflegte. In dieser Tradition kann man sich heute unter seinen Augen an Konzerten, Banketten oder anderen Festlichkeiten verlustieren.

 

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Von weißer Erde zum weißen Gold

Als im Jahr 1710 die Manufaktur auf der Meißner Albrechtsburg gegründet wurde, begann der Siegeszug des ersten europäischen Porzellans, das dem begehrten chinesischen Luxusprodukt vergleichbar war.
Entstanden war es in Sachsen eher durch Zufall, nachdem der Alchemist Johann Friedrich Böttger dem finanziell stets klammen August dem Starken das versprochene Gold nicht herbeiexperimentieren konnte. Er entging dem angedrohten Todesurteil, als er mit Hilfe des Naturforschers und Gelehrten Ehrenfried Walther von Tschirnhaus die Rezeptur und Herstellung des ersten Hartporzellans außerhalb Ostasiens entwickelte. Mit diesem weißen Gold konnte der porzellanverrückte König später sowohl seine Schränke als auch die leere Staatskasse füllen.
Rohstoff für Porzellan ist Kaolin, eine weiße Tonerde. Die in Meißen verwendete, die von außergewöhnlicher Reinheit ist, wird von zwei Grubenarbeitern im kleinsten Bergwerk Deutschlands in Seilitz, unweit der Stadt, gefördert. Dabei geht der heute gebräuchliche Name auf das chinesische Gaoling zurück, wo es zuerst gefunden wurde. Bereits vor 1.500 Jahren beherrschten die Chinesen die Porzellanherstellung; Marco Polo war einer der ersten, der die damals unbezahlbaren Kostbarkeiten nach Europa brachte. Aber erst mit dem Meißner Porzellan begann hier sein wahrer Triumph.