24 heute

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Zu Bethlehem geboren

„… paßt das altdeutsche Haus schon nirgends zu der Szene, so am allerwenigsten in Bethlehem. […] Wollen Sie aus der Höhle (um sie als Stall erkennen zu lassen) einen Esel und ein paar Schafe herausschauen lassen?
Graf von Ziethen-Schwerin, Vorsitzender des Jerusalemvereins zum Glasfensterentwurf für die Weihnachtskirche in Bethlehem

Mühsam schleppen Esel die Innenausstattung einer ganzen Kirche durchs judäische Bergland: Glasfenster, Altargerät, Orgel und Glocken für die Weihnachtskirche in Bethlehem. Vorher ist sie von Berlin aus auf dem Landweg, dann per Schiff unterwegs. Im selben Jahr 1893 wird die Weihnachtskirche im Geburtsort Jesu nach nur zweijähriger Bauzeit feierlich eingeweiht.
Die tiefe Ergriffenheit und Begeisterung der Deutschen für das Heilige Land hatte seinerzeit auch König Wilhelm IV. erfasst, er rief im Jahre 1841 den Berliner Jerusalemverein ins Leben, dessen Aktivitäten schließlich zur Errichtung der Weihnachtskirche in Bethlehem führten. Den Auftrag für den Bau erhielt der angesehene Berliner Architekt August Orth, der auch einige Kirchenbauten in Berlin entworfen hatte, darunter die Gethsemane- und die Zionskirche im Prenzlauer Berg.
Was die rote Backsteinarchitektur der Gethsemanekirche für Berlin, sind die hellen Kalksteinquader für das Heilige Land. Doch die Glasfenster mit ihrer intensiven Farbigkeit beeindrucken beidermaßen: soweit in Berlin erhalten steht der betende Christus dort im mittleren der drei Fenster, während in Bethlehem die ganze Lebens- und Leidensgeschichte erzählt wird. Da beide Entwürfe in Berlin entstanden sind, kommt es fast zwangsläufig zur Kollision zwischen europäisch tradierten Vorstellungen und der Szenerie der Heiligen Nacht am ursprünglichen Ort des Geschehens.

Frohe Weihnachten!

 

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Hopfen und Malz

Ohne Eiszeit kein Prenzlauer Berg, weder Bötzow- noch Kulturbrauerei, aber auch kein Kindl oder Schultheiss in Kreuzberg und Neukölln.
Bis zu 200 Meter hoch hatten sich die Eismassen vor etwa 12.000 Jahren über Berlin getürmt. Hätte es den Fernsehturm damals bereits gegeben, lediglich seine Spitze hätte aus dem Eis geragt. Eiszeitliche Gletscher hatten Steine, Sand, Ton und Lehm von Norden her nach Berlin geschoben, wo sich durch Abfließen des Schmelzwassers das Berliner Urstromtal mit seinen teils steilen Uferkanten bildete. Bis ins 19. Jahrhundert hinein begrenzte der Barnim mit der Barnimkante im Norden und der Teltow mit seinem Nordrand im Süden die besiedelte Fläche von Berlin.
Doch dann begannen Brauereien, neben dem Teltow auch den Barnim für sich zu entdecken; seine geologische Beschaffenheit erwies sich für die Herstellung und Lagerung des Bieres viel besser geeignet als das Berliner Zentrum, in welchem die Wasserqualität zwar auch hervorragend war, der Grundwasserspiegel aber nur knapp drei Meter unter der Oberfläche lag; damit war der Bau von Kellergeschossen dort unmöglich. Die kühlen Keller ebenerdig nun direkt in den Barnim zu graben, löste das Problem. Doch weil das zur Kühlung des Bieres verwendete Eis nicht nur viel Volumen hatte, sondern auch ein Gewicht von mehreren tausend Tonnen, mußte groß und stabil gebaut werden. Und so waren damals die Brauereien mit ihren gewaltigen Gär- und Lagerkellern die größten unterirdischen Bauwerke der Stadt.
Wer der Eiszeit und ihren Eiskellern auf die Spur kommen will: direkt an der Barnimkante steht die Ruine der Schneider Brauerei an der Greifswalder Strasse, auch die Pflastersteine im Hof hat der Eiszeitgletscher damals rundgeschliffen.

 

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Von hier nach da

Mit 960 Brücken ist Berlin zwar nicht der Spitzenreiter, besetzt aber hinter dem Venedig des Nordens mit seinen 2500 Brücken – nämlich Hamburg, Wien und Amsterdam den vierten Platz der europäischen Brückenhitparade. Und Venedig? Nur schlappe 400 Viadukte hat die Stadt zu bieten.
Am Brückenwettbewerb teilgenommen haben aber nicht nur diejenigen über Flüsse oder Bäche, sondern auch die zahlreichen Überführungen der Eisen- und S-Bahngleise oder Strassen, die kleinsten ganze zwei Meter lang, die längste 930 Meter über die Stadtautobahn in Charlottenburg.
In einer Länge von 37 Kilometern umschließt heute die Trasse der Ringbahn den Kern der Stadt. Als Berlin sich im Zuge der Industralisierung über den Stadtring hinaus auszudehnen begann und auch der Straßen- und Fußgängerverkehr zunahm, führte dies zwischen den Bahnhöfen Prenzlauer und Schönhauser Allee zum Bau der Brücken im Verlauf der Duncker, Schönfliesser und Greifenhagener Strasse. Den Kindern aus den damaligen Neubaugebieten sollten sie den Schulweg erleichtern, vor allem aber sollten sie den Arbeitern aus dem Helmholtzkiez eine fußläufige Anbindung an die Ostseite des Bahnhofs Schönhauser Allee ermöglichen. Mit vier schmiedeeisernen Leuchtern versehen ist dort die Greifenhagener Brücke ein ausgesprochenes Schmuckstück ihrer Gattung. Die schönen Details der denkmalgeschützten Jugendstilbrücke – die gestanzten Blechtafeln mit ihren Blumenmotiven und die geschmiedeten Rahmungen – nehmen wohl aber die wenigsten wahr.

 

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Gruss aus Hollywood

Von 1896 bis 1919 lebte der genialische Filmregisseur Ernst Lubitsch an der Schönhauser Allee 183. Hier heckte er – ab 1915 zusammen mit dem Drehbuchautor Hanns Kräly – die Slapstickkomödien „Die Bergkatze“ oder „Die Austernprinzessin“ aus, die in der florierenden Filmindustrie in Babelsberg produziert wurden. Gestartet hatte er dort seine Karriere als Schauspieler. Diesem Talent und seinem untrüglicher Sinn für Gags ist es zu verdanken, dass viele seiner Komödien heute Klassiker sind. Bereits 1923 holte ihn Mary Pickford nach Hollywood, wo er seine Karriere nahtlos fortsetzte und überhaupt zum ersten deutschen Regisseur in Hollywood wurde. Als im selben Jahr und vom einstigen Wohnhaus aus nur quer über die Schönhauser die Schankhalle der Königstadt-Brauerei zum Uraufführungskino der UFA umgebaut wurde, erlebten dort neben Meisterwerken wie Metropolis auch Filme von Murnau und Lubitsch ihre begeistert gefeierten Premieren.
Doch auch heute hält die Gegend unweit des Rosa-Luxemburg-Platzes dem Medium als Filmkulisse die Treue – die Lottumstrasse hat ein zeitlos intaktes Strassenbild der Gründerzeit zu bieten, in dem im Frühling auch zahlreiche japanische Kirschbäume blühen; in der Fehrbelliner Strasse beeindruckt die goldene, neobyzantinische Innenausstattung der Herz-Jesu-Kirche, sie flimmerte unter anderem in „Babylon Berlin“ über die Fernsehbildschirme.

 

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Alle neune!

So unangenehm wie in feuchten Mietshauskellern sind sie auch beim Kegeln – die Ratten. Denn wem es nicht gelingt, wenigstens einen Kegel umzuhauen, hat eben eine solche gekegelt. Und wer es darauf anlegen sollte: mit vielen Ratten kann man sich den zweifelhaften Titel eines Rattenkönigs erwerben. Schieben kann man aber auch einen Pudel – sollte die Kugel von der Bahn abkommen und im feuchten Rinnstein landen. Was ja aber nur passieren kann, wenn, wie bis ins 18. Jahrhundert üblich, im Freien gekegelt wird.
Ob drinnen oder draussen, gekegelt wurde ab dem 19. Jahrhundert in zahlreichen Ausflugslokalen, die im Schlepptau der Brauereigründungen entstanden. Denn mit der Einrichtung von riesigen Schankwirtschaften hatten die Brauereien eine ganz neuartige Form der gesellschaftlichen Unterhaltung geschaffen. Die Unternehmer wußten den Konsum von Bier mit dem Vergnügen der Bevölkerung an Großveranstaltungen und Konzerten, Kegelbahnen und Dampferpartien geschäftstüchtig zu verbinden und die durstigen Berliner zogen nun scharenweise vor die Tore ihrer Stadt, um sich an Sonn- und Feiertagen in den Biergärten feuchtfröhlich zu verlustieren.
Sich die Nacht bei Bier, Bulette, Kartoffelsalat und natürlich beim Kegeln klassisch um die Ohren hauen, das kann man bis heute in der Bornholmer Hütte. Die traditionsreiche Kneipe besitzt mit ihrer funktionstüchtigen historischen Asphaltbahn eine der ältesten Kegelbahnen Berlins.

 

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Vom Urvogel in die Druckerpresse

In Spiegelschrift schreibt ein kleiner Junge den Namen Alois Senefelders auf den steinernen Sockel, im Spiegel betrachtet hat alles dann seine Richtigkeit.
Das Denkmal aus Carrara-Marmor am Senefelderplatz hat sich die Gewerkschaft der Druckereiarbeiter schon etwas kosten lassen. Dabei hat Senefelder die Erfindung, für die er hier geehrt wird, einem einfachen Kalkstein zu verdanken.
Ein Spaziergang während eines Regentages im Jahre 1796 verhalf dem erfindungsreichen Theaterschriftsteller zu einer bahnbrechenden Idee. Senefelder hatte auf einem feuchten Kalkstein den Abdruck eines Blattes entdeckt und begann daraufhin mit Tinten und plan geschliffenen Steinen zu experimentieren. Da in seiner Heimatstadt München die Hausflure oft mit Kalkschieferplatten geflastert wurden, waren solche Steine leicht zur Hand. Er bezeichnete sie mit selbst zusammengerührten fetthaltigen Tinten, ätzte diese mit Salpetersäure und erfand nach zahlreichen Versuchen ein vollkommen neues Druckverfahren: die Lithografie (lithos: Stein graphein: schreiben). Während Holzschnitt und Buchdruck mechanische Hochdruck-, Kupferstich und Radierung Tiefdrucktechniken sind, entwickelte Senefelder mit dem Steindruck das erste chemische Flachdruckverfahren basierend auf der Abstoßung von Fett und Wasser. Kalkstein aus dem süddeutschen Solnhofen, in dem sich neben zahllosen Fossilien auch der Federabdruck eines Archaeopterix im Berliner Naturkundemuseum bewahrt hat, erwies sich wegen seiner Feinkörnigkeit als ganz besonders geeignet.
Ob Noten, Landkarten, Briefmarken, Banknoten, Flugblätter, Zeitungen oder Kunst, alles konnte plötzlich in viel höherer Auflage und vor allem preiswerter gedruckt werden. Als Senefelder schließlich Metallplatten verwendete, schuf er damit die Grundlage für den Offsetdruck.

 

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Ewige Ruhe

In einem imposanten Trauerzug wurde am 9. Mai 1864 der Opernkomponist Giacomo Meyerbeer zu seiner letzten Ruhestätte auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee geleitet. Ein paar Tage zuvor war der weltweit gefeierte Maestro überraschend in Paris gestorben und wurde nach einer bewegenden Trauerfeier in der großen Halle des Gard du Nord im Sonderzug nach Berlin gebracht. Bei einem Zwischenstopp in Aachen stieg sogar die damalige Königin Augusta hinzu, sie begleitete den Sarg bis nach Berlin. Auf eigenen Wunsch wurde Meyerbeer dort im Familiengrab neben seiner Mutter Amalie Beer beigesetzt, die seinerzeit für ihre aufopferungsvolle Freigiebigkeit ebenso bekannt war wie für ihre legendären Berliner Salons, in denen die führenden Größen des Kultur- und Geisteslebens der Stadt verkehrten.
Sieben Jahrzehnte später hatte sich das Blatt bereits gewendet. Dem Sarg des bedeutenden Impressionisten, ehemaligen Akademiepräsidenten und Ehrenbürgers der Stadt Berlin Max Liebermann folgten im Jahre 1935 nur etwa 100 Trauergäste; nur vier der vielen von ihm geförderten Künstler gaben ihm das letzte Geleit, darunter Käthe Kollwitz.
Von einer steinernen hohen Umfassungsmauer umgeben liegt der stille Ort mit seinen Efeu bewachsenen Grabsteinen heute jenseits der dicht befahrenen Hauptstrasse. Als der Friedhof im Jahre 1827 eingeweiht wurde – er löste den Friedhof an der Großen Hamburger Strasse ab – befand er sich noch außerhalb der Stadttore. In welchem Maße sich Juden der deutschen Gesellschaft im 19. Jahrhundert zugehörig fühlten, bezeugen die Steine mit ihren erst seit dieser Zeit gebräuchlichen zweisprachigen, sowohl hebräischen als auch deutschen Inschriften.

 

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Schwerter zu Pflugscharen

Anfang November 1989 bedeckte ein Meer brennender Kerzen den Vorplatz der Gethsemanekirche und wurde zum Symbol des gewaltfreien Protestes. An diese Tage und an die Ursprünge der DDR-Demokratiebewegung erinnert heute an einer Außenwand der Kirche die expressionistische Bronzefigur des „Geisteskämpfers“ von Ernst Barlach.
In beiden Händen hält der Erzengel Michael sein langes Schwert. Mit bloßen Füßen auf dem Rücken des wolfsähnlichen Tieres scheint er fast zu schweben. Barlach selbst beschreibt das Denkmal in einem Brief als „… äußere Darstellung eines inneren Vorgangs. […] Das nach oben strebende trennt sich vom erdig-horizontalen…“, wobei der Sockel symbolisch für das materielle Sein, das Tier für die irdisch-triebhafte Existenz, der Engel für das Seelisch-geistige und das Schwert für die unerschütterliche Glaubenskraft steht.
Der erste Guss des Denkmals wurde bereits 1928 an der Heiligengeistkirche in Kiel enthüllt. Da Barlach schon damals mit Anfeindungen von rechts zu kämpfen hatte, erfolgte dessen Aufstellung heimlich und ohne Weihe und Feier. 1938, ein Jahr bevor der Künstler krank und verbittert starb, wurden sowohl der schwebende Engel im Güstrower Dom abgehängt als auch der „Geisteskämpfer“ entfernt. Wiederholte Versuche, die Bronzefigur einzuschmelzen, konnte der einstige Mitarbeiter Barlachs, Bernhard Böhmer, durch eine geschickt getarnte Kaufaktion verhindern. Um die Skulptur zu retten, zersägte er sie in vier Teile. In Kisten verpackt überlebte sie so in einem Schuppen in der Lüneburger Heide und kehrte 1954 nach Kiel zurück. Aus ihrer Abformung erfolgte 1990 der Guss des Berliner Exemplars.

 

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Angepasst

Ein Verwandlungskünstler war der Barkas – seit 1961 konnte sich der Kleintransporter der DDR mithilfe unterschiedlichster Aufbauten und Anstriche für alle denkbaren Anforderungen herrichten lassen und wurde zeitweise in 40 Varianten hergestellt: er fuhr als Kleinbus, Polizeifahrzeug, mit rotem Kreuz als Krankenwagen, in rot zum Feurlöschen, als Pritschentransporter oder in grün getarnt als Militärfahrzeug herum. Im grauen Anstrich (mit weißem Dach) war er selbst für die letzte Fahrt zuständig. Eine seiner unrühmlichsten Aufgaben versah er jedoch als Gefangenen­trans­por­ter im Dienste des MfS, des Ministeriums für Staatssicherheit.
Als von 1950 bis in die 80er Jahre in der kleinen neogotischen Kapelle an der Fröbelstrasse die Fahrbereitschaft des MfS untergebracht war, hatte das oktogonale Gebäude mit dem spitzen Dach bereits einige Hausherren hinter sich. Zwischen 1886 und 1889 war es als Leichenhalle und Pathologie für das angrenzende Hospital- und Siechenhaus gebaut worden und diente dann als Aufbewahrungsort für Verstorbene. Nach der Errichtung der NS-Diktatur 1933 wurde die Kapelle zur nationalsozialistischen Feierhalle, während in die Gebäude ringsum im Jahre 1934 das Bezirksamt einzog. Heller wurde es an der Fröbelstraße erst einmal nicht. Nach Kriegsende wurde das gesamte Gelände von der Roten Armee requiriert und die sowjetische Militärkommandantur (SMAD) für den Stadtbezirk Prenzlauer Berg schickte von hier aus ehemalige Nazifunktionäre und unliebsame Gegner der Sowjetmacht in die Straflager.
Wer heute die Prenzlauer Allee entlang geht, sieht das Oktogon frisch hergerichtet. Der Stadtbaurat Hermann Blankenstein hatte seinerzeit viel Mühe auf den Baudekor verwandt und den gesamten Baukomplex samt Umfassungsmauer mit zahlreichen Formsteinen und farbigen Ziegelbändern verziert.

 

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Es begab sich aber zu der Zeit

An die biblische Weihnachtsgeschichte konnte sich erinnert fühlen, wer in den Jahren 1996/97 in den Sternenhimmel blickte: dort zog der Komet Hale-Bopp seinen feurigen Schweif einige Monate lang über den nächtlichen Horizont. Der Himmelskörper leuchtete so hell wie seinerzeit vielleicht der Stern von Bethlehem. Heute ist sicher: im Jahre elf vor Chr. kam der Halleysche Komet der Erde ziemlich nahe. Zu Christi Geburt etwa vier Jahre später war er allerdings schon weiter gezogen und die Wissenschaftler mußten die Kometenthese als nicht stichhaltig beiseite legen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Menschen der Antike in Kometen keine frohen Botschafter sondern Ankündiger von Unheil sahen.
Johannes Kepler hingegen hielt das biblische Himmelsphänomen für eine Konjunktion aus Merkur, Jupiter und Saturn, die er am Weihnachtsmorgen des Jahres 1603 von seinem Fenster in Prag aus beobachtet hatte. Seine Berechnungen ergaben, dass sich im Jahr sieben vor Christus die Planeten im Sternbild Fische sehr angenähert haben mußten. Eine alle Sterne am Himmel überstrahlende Supernova im darauf folgenden Jahr verfestigte Keplers Annahme.
Ins Reich der Legende stecken allerdings die meisten Theologen das Himmelslicht der Bibel. Prophezeiungen aus dem Alten Testament hatten die Ankunft des Messias mit dem Leuchten eines Sterns angekündigt und Matthäus hat ihn wohl deshalb in sein Evangelium aufgenommen.
Ob Komet, Supernova oder Doppelplanet: zur Weihnachtszeit beschäftigt sich das Zeiss-Großplanetarium Berlin an der Prenzlauer Allee mit dieser Himmelserscheinung. 1987 wurde es nach nur zwei Jahren Bauzeit als eines der größten und modernsten Sternentheater in Europa eröffnet und gehört zu den größten Planetarien in Deutschland.


 

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„Mit dem Kremser int Jrüne“

„Bolle reiste jüngst zu Pfingsten,
Nach Pankow war sein Ziel …“

Laut des um 1900 entstandenen Gassenhauers blieb Bolle zwar hungrig, war zwischenzeitlich grün und blau geschlagen und am Ende tot, hat sich dabei aber „ganz köstlich amüsiert“. Die Kremserfahrt in Richtung Pankow in die Schönholzer Heide hat er dem Fuhrunternehmer und preußischen Hofrat Simon Kremser aus Breslau zu verdanken, der zwar an keiner Stelle in der Stadt geehrt wird, dessen Erfindung des Kremserwagens ihm aber genug zur Ehre gereicht.
Unter General Blücher kämpfte der jüdische Sohn eines Breslauer Kaufmanns gegen die Napoleonische Armee. Als er dabei mehrfach die preußische Kriegskasse rettete, wurde es ihm als patriotische Tat so hoch angerechnet, dass König Wilhelm III. ihm sowohl das Eiserne Kreuz als auch den Pour le Mérite um den Hals hängte. Belohnt wurde ihm sein Heldentum aber auch mit dem Privileg einer exklusiven Fuhrunternehmerexistenz in Berlin. Kremser wurde Berliner, entwickelte die damals üblichen ungefederten Torwagen zu überdachten Pferdeomnibussen weiter und eröffnete am 20. Mai 1825 die erste Pferdeomnibuslinie Deutschlands. Sie führte vom Brandenburger Tor nach Charlottenburg. Im Jahre 1835 nahm dann auch die Linie vom Schönhauser Tor nach Pankow ihren Dienst auf. Bald standen Kremser an allen Toren Berlins und wurden ein beliebtes Transportmittel für Ausflugsfahrten in die engere und weitere Umgebung.

 

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Wohnen mit Vision

Eine Idee lebt hier – in den Gründerzeithäusern aus rotem Klinker zwischen Buchholzer- und Greifenhagener Strasse, Schönhauser und Pappelallee. Es ist die Idee des Sozialreformers und geistigen Wegbereiters der deutschen Genossenschaftsbewegung Victor Aimé Huber, der mit seiner Frau Auguste dort um 1850 fünfzehn Landhäuser mit Gärtchen für lohnabhängige Familien errichten ließ. Die Siedlung nannten sie „Bremer Höhe“, denn der Schwiegervater Hieronymus Klugkist, seines Zeichens Senator in Bremen, gab Geld dazu.
Die Industrialisierung schritt voran und mit ihr die Wohnungsnot. Dicht an dicht schossen die berüchtigten, engen Mietskasernen aus dem Boden. Mit vielen Hinterhöfen hintereinander, die nur so groß zu sein brauchten, das eine Feuerwehrspritze dort wenden konnte. Die Mieter zogen schon ein, wenn auf den Gerüsten noch die Fassadenputzer zugange waren, was sich bald als „Trockenwohnen“ im Berliner Sprachschatz wiederfand. Um Geld zu sparen, vermieteten die Bewohner Teile ihrer Wohnung an sogenannte Schlafgänger, die, wenn sie zur Schicht gingen, das noch warme Bett für den nächsten frei machten. Bis zu 30 Menschen lebten so in einer einzigen, meist kalten und feuchten Wohnung.
Währenddessen behielt die „Bremer Höhe“ ihr paradiesisch anmutendes Wohnkonzept bei. Da die Kleinhäuser durch die Industrialisierung bald überholt waren, baute die von Huber mitgegründete „Berliner Gemeinnützige Baugesellschaft“ an ihrer Stelle einen Komplex stattlicher Gründerzeithäuser mit damals hohem Wohnkomfort und begrünten Höfen zur Selbstversorgung.

Nach Volkseigentum und staatlicher Wohnungsbaugesellschaft gründeten die derzeitigen Mieter 1999 die Wohnungsbaugenossenschaft gleichen Namens und kauften die Häuser mit dem „Bremer Höhe“-Medaillon an der Fassade – ein Refugium im Sinne Hubers.

 

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Für Frieden und Sozialismus

Heute steht der Thälmannpark schon unter Denkmalschutz. Doch 1984 waren die frisch eingeweihten Plattenbauten das Vorzeigeprojekt der DDR-Führungsriege und boten Wohnraum und Komfort für 4000 Berliner. So wichtig war das Ensemble, dass es sogar vom DDR-Sandmännchen besucht wurde.
Mit den Worten Erich Honeckers „Für den Kameraden Ernst Thälmann hoch die Faust“ fielen die Hüllen – sie gaben den Kolossalkopf des KPD-Führers frei, dessen Herstellung die DDR-Bronzeproduktion eines gesamten Jahres verschlungen hatte. Dem Schöpfer des Ehrenmals, dem sowjetischen Vorzeigebildhauer Lev Kerbel, lag ebenfalls an einer gesamtkünstlerischen Inszenierung. Da er sein Werk vom Gasometer im Hintergrund beeinträchtigt sah, trieb das die Sprengung desselben voran. Aber auch den Protest der Bewohner, die zwar froh waren, dass das Gaswerk seit 1981 nicht mehr Wäsche und Lungen verschmutzte, die die runden Türme dennoch lieb gewonnen hatten. Enige sahen deren Sprengung und den damit einhergehenden leisen Widerstand als den Anfang vom Ende der DDR.
Ein Glasfenster im Bezirksamt an der Fröbelstraße zeigt ein Wappen, dass es allerdings so nie gegeben hat. Neben Wasserturm und Bär sieht man inmitten der Plattenbauten in Form des Thälmanndenkmals eine rote Fahne wehen.

 

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Unterwasserwelt

Meerestiere aus goldenen Mosaiksteinchen – Fische, Seepferdchen und Schildkröten – schmücken die Rückwand eines Brunnens am Pfefferberg. Schade nur, dass aus dem Drachenköpfchen das Wasser nicht mehr sprudelt und der abgedeckte Brunnen am exponierten Treppenaufgang sein liebloses Dasein fristet. Dabei gab es schon zu Zeiten des Großen Kurfürsten Gesetzgebungen, die den öffentlichen Stadtraum vor schlechter Behandlung schützen sollten. Dazu zählte auch, dass die Verunreinigung öffentlicher und privater Brunnen mit Gefängnis oder Pranger bestraft wurde und später sogenannte Gassenmeister Unrat in die Häuser werfen durften, wenn die Besitzer ihren Straßenbereich vor dem Haus nicht sauber hielten.

Bis weit ins 18. Jahrhundert besaß jeder Hof einen eigenen Ziehbrunnen. Mit Hilfe eines an einem Seil befestigten Eimers zogen die Bewohner das in gemauerten Schächten gesammelte Grundwasser nach oben. Schwengelpumpen lösten sie dann im 19. Jahrhundert ab: heute noch stehen die dunkelgrünen gusseisernen Gehäuse an vielen Gehwegen – unter ihnen die neobarocke „Lauchhammer-Pumpe“, bei der sich das Wasser entweder aus einem Fisch- oder einem Drachenmaul ergoss. Ein Tränkstein zu Füßen der Pumpe sammelte das abfließende Brunnenwasser für Pferde, Hunde und Vögel.
Als ab 1856 mit dem Bau des ersten Berliner Wasserwerks vor dem Stralauer Tor die Häuser an die zentrale Wasserversorgung angeschlossen wurden, verloren die Pumpen zwar ihre Bedeutung, mit ihrer Unabhängigkeit vom Wassernetz sind sie jedoch bis heute im Katastrophenschutz fest eingeplant.

 

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Berlin!

Die Hochbahn mit ihren grün gestrichenen gusseisernen Pfeilern Kreuzung Eberswalder Strasse – das ist Berlin! Auf eine Art ist das wohl richtig: mit dem Bauabschnitt zuvor und der Untertunnelung der Spree hatte man sich finanziell übernommen. Weshalb die Züge Höhe Kulturbrauerei aus der Erde auftauchen und dann für 1,7 Kilometer auf einemViadukt entlangfahren.
Vor mehr als 100 Jahren wurden die ersten Vidadukte und Bahnhöfe im Westen der Stadt fertiggestellt. Allerdings gab es für die bahnbrechende Ingenieursleistung nicht Anerkennung sondern heftige Kritik. Die Berliner fanden die funktionalen Bauten optisch eine Zumutung und auch für Gusseisen hatten die Bürger wenig übrig. Es erschien Ihnen im Gegensatz zu Stein einfach minderwertig. Soweit ging der Unmut, dass manche sogar den Abriß der gerade fertiggestellten Abschnitte forderten. Um sie zu besänftigen, suchte Siemens daraufhin die Zusammenarbeit mit renommierten Architekten. Diese sollten die entstehenden Viadukte und Bahnhöfe filigraner gestalten. Die bestehenden Stationen behängte man sogar nachträglich mit Schmuckelementen. Im Vergleich zum 1902 errichteten Jugendstilbahnhof Bülowstrasse kommen die 1913 eröffneten, nahezu baugleichen Stationen Eberswalder Strasse und Schönhauser Allee schlicht einher. Im Laufe weniger Jahre hatte sich der Zeitgeist gewandelt und ein sachlicher schmuckloser Funktionalismus hielt Einzug.

 

09

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Hoch die Tassen!

Mit dem Abriss des Restaurants „Zum Weinberg“ wurden 1912 die letzten Weinstöcke am Weinbergsweg gerodet. Getrunken wurde natürlich weiterhin: Wein, Wermut, Bier und harte Sachen. Kohlefahrer, Künstler, Nachtwächter – zu Ostzeiten saßen sie in den Prenzlauer Berg-Kneipen meist unter einem Dach und tranken, was nicht niet- und nagelfest war: im Fengler, im Wiener Café, im „Mosa“ – dem Café Mosaik, im „Bohü“ – der Bornholmer Hütte.
Allabendlich öffnete auch die Schoppenstube, die „Schoppe“, ihre Tür zum Souterrain. Ein Türsteher kontrollierte die langen Schlangen am vorderen Eingang, während die Stammgäste durch die Hintertür hineindurften. Im schummrigen Licht ging es familiär zu und früh, wenn es hell wurde, trafen sich die letzten Gäste bei Konnopke zur Currywurst. Das Schwulenlokal in der Schönhauser Allee 44 an der Eberswalder Strasse hatte von 1923 an alle Systeme durchgestanden. Als die DDR die Friedrichstraße ab den 60ern chic zu machen begann, wichen die Gäste in den Prenzlauer Berg aus und die Schoppenstube wurde bald zum Zentrum der Schwulenszene der gesamten DDR. Ab 1968 war mit dem Streichen des Paragraphen 175 Homosexualität in der DDR straffrei.
Auch die Schoppenstube hat den Wandel nicht überlebt, doch in einigen Szenen des Films „Coming out“ ist sie bewahrt. Regisseur Heiner Carow, der auch den legendären Film von Paul und Paula drehte, gewann 1990 mit „Coming out“ einen Silbernen Bären.

 

08

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Ein Friedhof ohne Kreuze

„Hier ist doch Heideland düsterer und härter als in Afrika oder Indien!“ wetterte der Pfarrer Hermann Priebe 1929 und meinte damit den Friedhof der Freireligiösen Gemeinde an der Pappelallee im heutigen Helmholzkiez: „Er gehört den proletarischen Freidenkern, die dem krassen Atheismus huldigen und geschworene Feinde jeden Glaubens sind …“
‚Die Welt regiert sich selbst nach ewigen Gesetzen‘ war tatsächlich als Leitsatz groß in der Feierhalle zu lesen und beschreibt die geistige Grundausrichtung, die in der Abkehr von kirchlichen Überzeugungen und nicht zuletzt der Institution Kirche selbst bestand. Der 1845 gegründeten Gemeinschaft der „Freireligiösen“ traten neben exkommunizierten oder ausgetretenen Katholiken, reformwillige Protestanten und säkularisierte Juden bei. Später zählten Sozialdemokraten wie der Stenograf Heinrich Roller zu ihren Mitgliedern. Roller erfand 1875 ein eigenes Stenografiesystem, das er selbst Weltkurzschrift nannte. Sein Signet, eine geflügelte Schreibfeder, schmückt das auffällige Grab, flankiert von einer weiblichen, einen Stift haltenden Skulptur.
Mitte der 1800 Jahre war die Stenografie die modernste und schnellste Methode der Mitschrift. Da die als suspekt erachtete Freireligiöse Gemeinde polizeilich observiert wurde, hatte die Erfindung Rollers eine besondere Bedeutung. Um sich gegen falsche Berichterstattung zu schützen, engagierte die Gemeinde einen Stenografen, der Mitschriften für alle Veranstaltungen anfertigte.

 

07

7

… wo er nach Feierabend gräbt und seine Urlaubszeit verlebt … (Erich Weinert)

Als sich die Kleingartensparte an der Bornholmer Strasse gegründet hatte, war es der Hunger, der die Einwohner Berlins zur Eigenversorgung trieb. Ohne große Absprachen nahmen sie 1896 das Gebiet über einer Mülldeponie in Besitz und errichteten hier ihre ersten Gärtchen für Kartoffeln, Gemüse und Hühner. Mit dem Bau der Paul-Gerhardt-Kirche 1908 gelangte der Aushub der Erde hierher und wurde ungleichmäßig auf die Gartenanlage verteilt. Bis heute sind die Höhenunterschiede von fast einem Meter deutlich zu spüren.
Als „Hungrigen Wolf“ ließ sich die Kolonie schließlich 1919 beim Amtsgericht registrieren, ein Gartenlokal komplettierte ab den Goldenen Zwanzigern das Vereinsleben.
Durch Weltkriegsbomben zerstört versorgte der Brunnen der Anlage nach Kriegsende den ausgebombten Kiez mit Trinkwasser. Mit dem Bau der Mauer rutschten die Gärten vollkommen ins Abseits. Dass Leitern im Grenzgebiet wegen Fluchtgefahrt ab sofort verboten waren, dürfte gerade für die Obsternte Einfallsreichtum erfordert haben.
Zum Glück ist das Geschichte. Heute blühen im Frühjahr nicht nur in „Bornholm“ die Kirschen sondern auch auf der Kirschbaumallee. Aus Freude über den Mauerfall und die Wiedervereinigung spendeten Bürger Japans in einer großzügig angelegten Spendenaktion japanische Zierkirschen entlang des Mauerweges.

 

06

6

Es klappert die Mühle …

Hinter dem Prenzlauer Tor ging es auf einer Landstraße bergan Richtung Prenzlau. Diese natürliche Anhöhe gab dem 1920 gegründeten Bezirk seinen Namen – Prenzlauer Berg. An die insgesamt 30 Mühlen, die es auf seinem Gebiet nachweislich gegeben hat, erinnert sein Wappen. Es zeigt vier schwarze Windmühlenflügel auf gelbem Schild.
In der damals noch ländlichen Umgebung drehten sich auf königliche Weisung seit 1748 die ersten Windmühlen. Der Müllermeister Christoph Müncheberg hatte sie auf dem Gebiet der Metzer Straße aufgestellt, sein Müllerhaus existiert bis heute. Bald standen auf der eiszeitlichen Erhöhung an der Straßburger/ Saarbrücker Straße acht Mühlen eng nebeneinander. Kein Wunder, dass sich die vielen Flügel auf dem nun entstandenen Windmühlenberg gegenseitig den Wind wegnahmen.
Doch die Stadt Berlin wuchs weiter in Richtung Norden und mit ihrer Ausdehnung die Bebauung. Kriegsschäden und Brände, die aufkommende Dampfkraft und Elekrifizierung machte den Müllern mit ihren vom Wind angegetriebenen Mühlen zu schaffen und das Müllergeschäft rentierte sich irgendwann nicht mehr. Im Jahre 1900 stellte die letzte Windmühle in Prenzlauer Berg ihre Arbeit entgültig ein.

 

05

5

Von der Eckkneipe ins Café Achteck

Café Achteck nannten die Berliner die kleinen grünen Toilettenhäuschen. 30 von ehemals 142 Exemplaren stehen heute noch in der Stadt verstreut – ein rekonstruiertes findet man am Senefeldeplatz.
Bis ins 19. Jahrhundert gab es nahezu keine öffentlichen Toiletten. Bis dahin pinkelte man von den Brücken, obwohl das strafbar war, oder um 1734 in eine Urintonne, die an einem Portal des Stadtschlosses aufgestellt wurde und sich mit einem Ablauf direkt in die Spree entleerte. Kein Wunder, dass das Problem der Notdurft irgendwann auf dem Tisch des Stadtrates landete. Um es zu lösen, veranlaßte der Polizeipräsident Madai Anfang der 1870er Jahre das Aufstellen von Urinieranstalten. Die Berliner dankten es mit einem Spitznamen – Madai-Tempel nannten sie die Pissoirs, in denen zwei Männer Platz zum Pinkeln hatten. Die Häuschen reichten jedoch bald nicht mehr aus und der Stadtbaurat Rospatt erarbeitete 1878 einen neuen, rationellen Typ mit acht Ecken, in dem sich sieben Personen gleichzeitg erleichtern konnten. Die stilvoll mit floralen Mustern dekorierten Wände aus Gusseisen waren zudem in der Herstellung ganz modern. Man nutzte die Vorteile der in Berlin immer leistungsfähigeren Eisengießertechnik.
Natürlich war das ungerecht, denn nur Männer durften pinkeln. 1874 entstand zwar im Roten Rathaus die erste öffentliche Anlage für Frauen, doch erst 25 Jahre später Damen-WCs auf den Plätzen der Stadt.

 

04

4

Schalom

Am 29. Juli 1945 wurde in der Synagoge in der Rykestraße das erste jüdische Brautpaar in Berlin getraut. Es war ein Zeichen des Neuanfangs und der Hoffnung.
Im Bezirk Prenzlauer Berg lebte um 1910 mit 19000 registrierten Einwohnern die drittgrößte jüdische Bevölkerung Berlins. Damit entstand eine vielfältige jüdische Infrastruktur mit Synagogen, Wohlfahrtseinrichtungen, Kinderheimen, Schulen, Vereinen und Geschäften.
Zwei Davidssterne am schmiedeeisernen Gitter schmücken die doppelte Tordurchfahrt zur größten, 1904 eingeweihten Synagoge Deutschlands. Die Gestaltung der im Stil der Neoromanik gebauten dreischiffigen Basilika, lehnt sich an märkische Backsteinkirchen an. Neben einem orthodoxen Geistlichen amtierten hier auch liberale Rabbiner. 1930 wurde erstmals eine Frau in den Gemeindevorstand gewählt – 1935, mit Regine Jonas, sogar die weltweit erste Rabbinerin ordiniert.
Im Vorderhaus befanden sich die III. Volksschule des »Jüdischen Schulvereins e.V.« und die VI. Religionsschule der Jüdischen Gemeinde mit etwa 500 Schülern. Nach 1933 verfolgte der »Jüdische Schulverein« das Ziel, Schüler auf die Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. Lilli Henoch, die in der nähe von Riga ermordet wurde, seinerzeit berühmte Leichtathletin und Weltrekordhalterin, war bis zu deren Auflösung Sportlehrerin dieser Schule.

 

03

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Käthe

In sich ruhend sitzt die bronzene Käthe mitten auf dem Kollwitzplatz, der zu ihrem Geburtstag am 8. Juli 1946 ihren Namen erhielt. Ihre Nase ist vom vielen Anfassen ganz blank poliert, denn von Beginn an kletterten die Kinder auf der Skulptur herum. Die meisten Anwohner stört das nicht, sie finden diesen Umgang wunderbar. Der Bildhauer hatte genau das beabsichtigt und den Sockel extra breit und niedrig gehalten. Auch der porträtierten Künstlerin hätte es bestimmt gefallen.
1956 beauftragte der Berliner Magistrat den Bildhauer Gustav Seitz. Dieser schuf allerdings nicht die Skulptur, die der sozialistische Auftraggeber erwartet hatte. Statt kämpferischer Pose zeigt Seitz die Künstlerin im höheren Lebensalter und greift dabei auf eines ihrer letzten Selbstportäts zurück. Gustav Seitz hatte Käthe Kollwitz noch selbst erlebt. Obwohl er 1958 nach Hamburg wechselte, wurde die Skulptur in Abwesenheit des Künstlers gegossen und 1961 feierlich eingeweiht.
Käthe Kollwitz zählt zu den bekanntesten deutschen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Mit ihrem Mann, dem Armenarzt Karl Kollwitz, wohnte sie in der Weißenburger Straße 25, der heutigen Kollwitzstraße. Zeitlebens thematisierte sie in ihren realistisch expressiven Zeichnungen, Grafiken und Skulpturen soziales Elend und eigene leidhafte Erfahrungen.

 

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Klassenkampf im Führerhäuschen

Als die Westberliner BVG 1984 von der DDR endlich das gesamte Schienennetz auf der westlichen Seite übernahm, gab die Deutsche Reichsbahn natürlich nur die ältesten ihrer rot-gelben S-Bahn-Wagen her. Das war der letzte einer Reihe von Kinnhaken, die die Verantwortlichen für Bus und Bahn in die jeweils andere Richtung austeilten. Eine kuriose Attacke ritt die DDR mithilfe der Modernen Frau.
Was im Westen in den 50iger Jahren undenkbar war, wurde im Osten bereits ab 1950 gängige Praxis – Frauen als Straßenbahnführerinnen. Und so setzte man die Ostfrauen gern in jene Straßenbahnen, die die Sektorengrenze überquerten, zwi­schen Mit­te und Tier­gar­ten, Trep­tow und Neu­kölln, Prenz­lau­er Berg und Wed­ding. Da beide Seiten zugesagt hatten, die verschiedenen Regularien gegenseitig anzuerkennen, empfand man das im Westen als Provokation und arrangierte sich auf eigene Art. Die Kolleginnen aus Ostberlin mussten das Führerhaus verlassen und wurden zurückgeschickt, worauf die DDR kurzerhand die Übergangsstellen durch die Deutsche Volkspolizei gleich ganz sperrte. Für die Passagiere eine Zumutung, denn sie hatten nun den Weg von der letzten Haltestelle im Ostteil zur ersten im Westen und umgekehrt zu Fuß zu bewältigen. Der Mauerbau brachte 1961 dann das entgültige Aus für die zonenübergreifende Straßenbahn.

 

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Im rechten Winkel nach Norden

Dort wo sich heute Kollwitz- oder Helmholtzplatz befinden, breitete sich vor knapp 200 Jahren noch eine idyllische Landschaft aus – Felder, kleine Weinberge, sich drehende Windmühlen und vereinzelte Ausflugslokale. Das Prenzlauer und Schönhauser Tor markierten die nördliche Grenze der Stadt. Diese allerdings platzte im Zuge der Industrialisierung bereits aus allen Nähten, war dreckig, eng und ungesund. Man entschloß sich, ihre Grenzen weiträumig nach außen zu verschieben.
So entwickelte im Auftrag der Stadt der Stadtbaurat James Hobrecht seinen Bebauungsplan von 1862. Über die existierenden Ausfallstraßen zum Schloß Schönhausen, nach Prenzlau und Greifswald legte er ein rechtwinkliges Raster, das noch heute aus der Luft erkennbar ist. Die mit Ziffern und Buchstaben gekennzeichneten geplanten Straßen und Plätze erhielten erst mit ihrer Errichtung ihre meist bis heute gültigen Namen.
Nach Ende des deutsch-französischen Krieges entstand das Französische Viertel mit Wörther, Colmarer, Metzer Strasse. Nördlich der heutigen Danziger Straße entschied man sich für Persönlichkeiten wie den Archäologen Heinrich Schliemann, den Physiologen Hermann von Helmholtz, den Bürgermeister Hermann Duncker. Später folgten das Nordische Viertel um die Bornholmer Strasse und das Ostpreußische Viertel.
Eine Strasse in Kreuzberg erinnert an Hobrecht – den Mann, der das Gesicht des heutigen Berlin maßgeblich prägte. Die spätere Bebauung mit eng gedrängten Mietskasernen war allerdings nicht seine Schuld, sondern die der Spekulanten, die sich damals wie heute um Grund und Boden zankten.