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Paradies mit Himbeereis
Die Architektur sei, nach der natürlichen und der Kleidung, die dritte Haut des Menschen, befand Friedensreich Hundertwasser. Vielleicht liegt in dieser Überzeugung auch der Grund, warum der Künstler in einem wütenden Manifest zur „schöpferischen Verschimmelung“ der gegenwärtigen Architektur aufrief. Alles sei der krankmachenden Linie unterworfen, die Menschen in modernen Mietquartieren wie Hasen in Käfigkonstruktionen gefangen halte und damit jeder Individualität und Gestaltungsmöglichkeit beraubt, wetterte er dort.
Das kann man vom Hundertwasserhaus am Magdeburger Domplatz nicht behaupten. Die grüne Zitadelle kennt keine Linien, Geraden oder scharfen Ecken. Dafür gibt es für die Bewohner ein Fensterrecht, das ihnen die individuelle Gestaltung von deren unmittelbarer Umgebung erlaubt; und eine Baumpflicht, die von ihnen die Pflege der insgesamt über 170 aus gleichsam tanzenden Fenstern schauenden Exemplare verlangt, die tatsächlich ebenso Mieter geheißen werden wie ihre menschlichen Nachbarn.
Das Haus wirkt inmitten der modernen Innenstadtbebauung wie ein mit Himbeereis übergossenes, verwunschenes Märchenschloss, dessen Türme über begrünten Dächern goldene Kugeln tragen, Zwiebeln gleich: für Hundertwasser die Frucht des Paradieses, das er mit seinem letzten Werk den Magdeburgern erbauen wollte.