24-heute

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Jungfrau unter Jungfrauen

Altaraufsätze, sogenannte Retabeln, gab es in Europa schon seit dem Frühmittelalter. Später entstand daraus der beliebte Wandelaltar: eine aufwendig gestaltete Mitteltafel wurde rechts und links um zwei oder vier beidseitig bemalte Flügel ergänzt, die mit beweglichen Scharniere befestigt waren. Auf diese Weise wurde der Weg durchs Kirchenjahr, je nach Klappzustand, für die Schar der Gläubigen weitaus unterhalt- und natürlich auch lehrsamer. Der Mittelteil bestand oft aus kunstvollem, kostbar mit Gold akzentuiertem Schnitzwerk und wurde zu den Hochfesten enthüllt.

Mit der Marienverehrung kamen ihr gewidmeten Altäre auf, die Szenen aus ihrem Leben abbildeten. Ein besonders hübscher Typus zeigt sie, wie hier in der Dohnaer Marienkirche, umgeben von den sogenannten Virgines Capitales, vier frühchristlichen, heiligen Märtyrerinnen. Unterschieden werden sie durch die ihnen zugeordneten Attribute: Dorothea trägt einen Korb mit Rosen und Früchten, Margareta hat einen Drachen dabei, Katharina das Rad, auf das sie geflochten werden sollte, und Barbara – als Schutzheilige der Bergleute in Sachsen sehr beliebt – Turm und Kelch. Maler der Spätgotik versetzten die Holden gern in einen Hortus conclusus, ein Paradiesgärtlein, das die Anmut dieser Szenerie noch unterstreicht.

Frohe
Weihnachten!


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Königliche Küchenkarawane

Tafelzier und Tischkultur an fürstlichen Höfen wurden im Barock immer anspruchsvoller. Aßen der Burgherr und seine Gäste im Spätmittelalter oft noch von Unterlagen aus gebackenem Brotteig, wollte der höfische Gastgeber im 18. Jahrhundert glänzen und überwältigen, mit kostbarem Geschirr aus Silber und Porzellan, Schaugerichten aus Zuckermasse und Marzipan und einer schier unübersehbaren Abfolge von Gängen und Speisen. Das brachte einen Fürstenhaushalt regelmäßig in organisatorische Bedrängnis, denn natürlich waren viele Schlösser nicht mit allen notwendigen Utensilien ausgestattet.

So zog denn regelmäßig eine Küchenkarawane aus Dresden nach Pillnitz, Moritzburg oder Großsedlitz. Sorgsam verpackt gingen Kupferkessel, Töpfe und Schüsseln, aber auch kostbares Porzellan oder Silbergeschirr auf die Reise. Das berühmte Augsburger Service aus vergoldetem Silber umfasste neben Tellern und Besteck zierliche Lerchenspießchen, Zitronendrücker, Salzfässchen und Brotteller mit Eierschälchen. Aber auch das vielköpfige Küchenpersonal, vom französischen Hofkoch bis zu den für das Putzen und Spülen verantwortlichen Angestellten der Silberkammer, machte sich auf den Weg. Über die unterwegs zu Bruch gegangenen Preziosen erzählen wohl nur noch die königlichen Rechnungsbücher.


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„Pro fide, rege et lege“

Nach nur fünf Jahren als polnischer König verlor Friedrich August II. von Sachsen 1704 seine Krone, für die er konvertiert war und Unsummen an Bestechung aufgewendet hatte. Er brauchte unbedingt etwas, mit dem er sich dem polnisch-litauischen Adel wieder genehm machen konnte, darüber hinaus war er auf Unterstützung im Nordischen Krieg angewiesen. So erfand der nurmehr sächsische Kurfürst einen im Dunkel der polnische Geschichte gegründeten Orden neu: den Orden des Weißen Adlers, der ausschließlich an fürstliche Magnaten verliehen wurde, die sich um Volk und Krone verdient gemacht hatten.

Am 1. November 1705 wurden im polnischen Tykocin die ersten Medaillen überreicht, rot emaillierte Ovale, mit den Initialen A(Augustus) R(ex) und dem Motto „Für Glauben, König und Gesetz“. Die Form änderte sich über die Jahrzehnte hin zu einem achtstrahligen Stern, erst mit, dann ohne Adler, aber immer reich mit Brillanten geschmückt. Zwei prachtvolle Brustkreuze waren deshalb auch unter den Objekten, die 2019 aus dem Grünen Gewölbe geraubt und später zurückgegeben wurden. Der Orden des Weißen Adlers ist heute eine der höchsten Auszeichnungen der polnischen Republik.


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Wie ein Rohr im Wind

Als in grauer Vorzeit ein Mensch in ein gekapptes Schilfrohr blies und ihn der Klang so erfreute, dass er das Rohr mit nach Hause nahm, war die Mutter aller Flöten geboren. Überall dort, wo es an Schilf oder Bambus nicht mangelte, lässt sie sich nachweisen. Schon vor 5.000 Jahren war die Ney im Vorderen Orient bekannt und ihr subtiler und variabler Klang hat seitdem nichts von seiner Beliebtheit verloren. Die hebräische Mischna berichtet, dass Moses die Rohrflöte dem Volk Israel gebracht habe und lobt deren süße Töne. Und jeder, der Jahrmärkte liebt, kennt die vielrohrige Siku aus den peruanischen Anden.

Die populärste Geschichte über die Entstehung der Rohrflöte erfanden die alten Griechen. Sie erzählt, wie der schockverliebte Hirtengott Pan die wegen ihrer Keuschheit berühmte Nymphe Syrinx verfolgte. Kurz bevor er sie zu fassen bekam, verwandelten die barmherzigen Götter das Mädchen in ein Schilfrohr, über das sanft der Wind strich. Der Klang gefiel dem frustrierten Pan und er schnitt sich zur Erinnerung aus der verwandelten Syrinx eine Flöte, deren Röhren er mit Wachs verband. In Großsedlitz findet man Pans Flöte in der Stillen Musik, wo der Bildhauer sie einer Putte ins Händchen gedrückt hat.


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Sand. Stein. Fluss.

In der Kreidezeit lag die östliche Elbezone unter einem Meer, dessen abgelagerte Sedimente sich zu einer gewaltigen Sandsteinplatte verfestigten, die sich später hob und in trockeneren Zeiten stark zerklüftete. Die Siedler in der Mark Meißen nutzten seit dem frühen Mittelalter, was ihnen an Baustoff vor der Nase lag und mit Entwicklung der Elbschifffahrt auch bestens transportiert werden konnte.

Sandsteinabbau wurde im Laufe der Zeit zu einem wichtigen Wirtschaftszweig in der Region, bis schließlich während des 19. Jahrhunderts mehrere tausend Menschen in 500 Steinbrüchen ihren Lebensunterhalt verdienten. Hundert Jahre später war die Zahl der Abbaustätten auf weniger als zwanzig geschrumpft, zu sehr gefährdeten sie durch ihre Lage dicht am Fluss die Schifffahrt und auch der Landschaftsschutz geriet immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit.

In der Rückschau könnte man meinen, Sachsen sei ganz und gar aus Sandstein erbaut, was natürlich eine, wenn auch reizvolle, Übertreibung ist. Doch die beidseits des Flusses geförderten Varietäten des schön gefärbten Steins ermöglichten künstlerische Vielfalt, hielten dem Wetter gut stand und alterten in Würde, wenn man sie ließ. Heute werden Postaer, Cottaer und Reinhardtsdorfer Sandstein nur noch an sechs Orten gebrochen. Alle historisch bedeutenden Varietäten sind so, auch für Restaurierungen, weiter verfügbar.


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Eine Welle glänzenden Wassers

Majestätische Fontänen, glitzernde Kanäle, funkelnde Gischt aus zierlichen Springbrunnen oder stille Bassins, in denen sich Putten und Nymphen spiegeln: ohne Wasser ist ein Barockgarten weder denkbar noch möglich. Ausgeklügelte Systeme mussten erfunden werden, um das Wasser auch in kompliziertem Terrain an die richtigen Stellen zu leiten, was nicht nur deshalb schwierig war, weil es unterirdische Rohrsysteme, die dem erforderlichen Druck standhielten, noch nicht gab. Oft fehlte es überhaupt an einer ausreichenden Wasserzufuhr, die die angelegten Reservoirs füllen konnte. So kam es, dass selbst im reichen Versailles die Gärtner ihrem Herrscher vorauseilen und die Wasserhähne öffnen mussten, um sie nach dem Verschwinden der höfischen Entourage sofort wieder zu schließen. Auch in Großsedlitz reichte das gestaute Nass nur für eine halbe Stunde.

Eine andere wässrige Attraktion hat der Barockpark einer übergeschnappten sozialistischen Städteplanung zu verdanken. Nach den Verheerungen des zweiten Weltkriegs verbreiterte man in Dresden die Wilsdruffer Straße auf bis zu einundsechzig Meter, weil man eine Magistrale für militärische Aufmärsche und Demonstrationen zu brauchen meinte. Dafür musste auf der Nordseite die Bebauungslinie zurückgenommen werden, und das dort liegende Landhaus verlor nicht nur einen Teil seines Gartens, sondern auch das Portal zum Ehrenhof mit den beiden wie durch ein Wunder erhalten gebliebenen Delfinbrunnen. Man setzte sie an den Haupteingang zum Großsedlitzer Park um, so dass die Anlage endlich einen repräsentativen Zugang bekam.


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Was du ererbt von deinen Vätern

Mit Beginn der Industrialisierung und der Eröffnung der Bahnstrecke von Dresden nach Pirna wurde der Charakter der Landschaft im oberen Elbtal durch den massiven Bau von Fabriken und industriellen Anlagen nicht nur überformt, sondern vehement verändert und der Raum zwischen Fluss und Hang fast zur Gänze besetzt. Nach der toxischen Industriepolitik der DDR nahm in den 90er Jahren das Ganze noch einmal Fahrt auf, wobei nicht wenige der eilig gebauten Gewerbegebiete heute schon wieder brachliegen.

Mit der Planung des Industrieparks Oberelbe jedoch gerät das barocke Kleinod auf dem Hochplateau endgültig in Gefahr. Anders als die in der Ebene liegenden Schlösser von Versailles oder Sanssouci gewinnt Großsedlitz sowohl durch die in der Höhe gestaffelten Parkette seinen originären Reiz als auch durch die Sichtachsen zu Borsberg, Wilisch, den Elbsandsteinen und weite Blicke bis ins Böhmische hinein. Von den Verantwortlichen wird leider ignoriert und übergangen, wie unbedingt die Wirkung der Anlage von der Landschaft abhängt, in die sie eingebettet ist wie ein Rosendiamant in seine Fassung. Kommt der Industriepark, bildet er statt ihrer einen brachialen Ring bis vor die Tore zum Garten, was recht einmalig in Deutschland wäre.

Eine unbeirrt für die Erhaltung des Barockparks in der für ihn gedachten Landschaft kämpfende Bürgerinitiative hat es zusammen mit vielen Verbündeten aus Natur- und Denkmalschutz, Kultur und Kunst erreicht, dass Großsedlitz in die Rote Liste der gefährdeten Denkmale Deutschlands aufgenommen wurde.


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Nach allen Regeln der Kunst

Im Hoch- und Spätmittelalter, als das Rittertum noch wirkliche Kunst und richtiges Handwerk war, hatten Kampfspiele, Tjoste und Turniere an allen Höfen Konjunktur. Ein paar hundert Jahre später war davon nicht mehr viel übrig geblieben als die hohe Lust auf das Scheibenschießen, mit der Armbrust oder besonderen Radschlossbüchsen, die bis zu sechs Kilo wiegen konnten. Natürlich gab es am Dresdner Hof zum Abschluss jedes Adlerordensfestes ein großes Preisschießen und natürlich wurde dafür auch im Großsedlitzer Park eine Schießbahn gebaut. Sie lag im unteren Orangenparterre und wurde von Wasserkanälen und Topfbäumchen eingefasst, wie man heute noch sehen kann. Große, von Hofmalern phantasievoll bemalten Tafeln dienten als Ziele und wurden an der Rückwand des Bassins „Stille Musik“ aufgestellt.

Das Scheibenschießen selbst wurde nach einem festen Regelwerk abgehalten, die königliche Familie und die Ordensritter wetteiferten in mehreren Durchgängen um den Siegerkranz und allerlei wertvolle Becher, Medaillen und Geldpreise, während ungeschickte, schlecht zielende Teilnehmer mit teils grotesken Trostpreisen beglückt wurden, die der notorische Hofkalender lustvoll und bis in alle Einzelheiten beschrieb. Übrigens waren auch Frauen durchaus siegreich und Augusts Schwiegertochter Maria Josepha eine gefeierte Schützin, die viele Preise gewann. Wunderschön ausgeführte Scheibenbüchsen lassen sich noch heute in der Gewehrgalerie im Dresdner Schloss bewundern.


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Kybelens Arm

Als im Juli1760 der ungeduldige Preußenkönig Dresden in Schutt und Asche schießen ließ, flogen die Reste verbrannter Dokumente, so heißt es, bis nach Großsedlitz, das auch unter Verheerungen durch die preußische Armee litt. So hatte man bereits vier Jahre zuvor sämtliche Rohre der Wasserversorgung herausgerissen und daraus Kugeln gegossen und obwohl es zum Hauptquartier gemacht wurde, nahm auch das Schloss erheblichen Schaden. Als die Preußen schließlich abzogen, lagen Großsedlitz und die ganze Umgebung verwüstet.

Nur fünfzig Jahre später sahen Schloss und Park während der Befreiungskriege wirkliche Kämpfe und wechselnde Besetzungen. Der Baumbestand des Parks war zerschossen oder diente als Feuerholz, die vielen Statuen hatten Gliedmaßen und Teile des dekorativen Schmucks verloren, darüber hinaus vertrieb sich die gelangweilte Soldateska die Zeit mit Schießübungen und nahm die unschuldigen Figuren frech als Ziele ins Visier.

Erst nach 1830 begann man, die Skulpturen zu restaurieren oder durch Kopien zu ersetzen.
Heute findet man die erhaltenen Originale in der Orangerie. Der Sandstein, gereinigt und vorsichtig instand gesetzt, zeigt sich dem Besucher in seiner ganzen versehrten Schönheit. Auch Kybele hat ihren Arm zurückerhalten. Dass man aber bei ihrer Schaffung den kostbareren Marmor mit weißer und grauer Farbe zu imitieren wollte, erstaunt den sandsteinaffinen Besucher noch immer.


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Von allerlei gärtnerischer Angelegenheit

Auch im 18. Jahrhundert waren die Städte noch umgeben von Vorwerken und Nutzgärten, die für den Eigenbedarf bestellt wurden, aber auch die städtischen Märkte belieferten. Der sächsische Hof besaß in Dresden und den umliegenden Gütern Übigau, Pillnitz oder Moritzburg sowohl Ländereien als auch große Parks und Anlagen und hatte somit ständigen Bedarf an geeignetem Personal.

Am Hof angestellte Gärtner kümmerten sich je nach Ausbildung um Gemüse- und Obstgärten zur Versorgung der Tafel, Kräuter- und Apothekengärten waren zu pflegen und hübsche Blumengärten fürs Auge und zur Promenade gehörten auch dazu. Wollte der Fürst groß auffahren wie im Zwinger oder in Großsedlitz, wurde allerdings höhere Expertise verlangt. Man sah darauf, dass der Bewerber neben seiner gärtnerischen Kompetenz eine künstlerische oder architektonische Ausbildung besaß, sich im Ausland umgetan hatte, und natürlich sollte er über Moden Bescheid wissen, neue Anlagen nicht nur konzipieren, sondern auch zeichnen und den Wünschen des Auftraggebers problemlos entsprechen können. Mit dem Aufkommen exotischer Gärten wurden Spezialisten immer gefragter. Ein Vertrauensverhältnis zwischen Gärtner und Landesfürst, wie es gern kolportiert wird, war aber sehr selten; so nah ließ man sich Angestellte bei aller gnädigen Nonchalance dann doch nicht kommen.


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Aufstieg und Fall auf dem Hochplateau

Es war nicht Bosheit und vielleicht nur ein kleines bisschen Habgier, die Friedrich August II. dazu brachte, dem Grafen Wackerbarth das geliebte Altersdomizil fortzupressen. Mit der Neuinstallierung des Weißen Adlerordens brauchte der Kurfürst nicht nur eine Ordensburg für seine neu gekürten Ritter; er wollte eine große Anlage, in der man wie sein Vorbild in Versailles spektakuläre Feste feiern konnte. Leider kam es in Großsedlitz, trotz aller Anstrengung, nur zu einer einzigen, nicht einmal im Hofkalender ausführlich vermerkten Ausrichtung und erst unter seinem Sohn beging man die Ordensfeste häufiger dort.

Hübsch ist es sich vorzustellen, wie die Damen und Herren der Hofgesellschaft unter Orangenbäumen flanierten, sich in den Wandelgängen und Pavillons aus Nagelwerk trafen und der Musik lauschten, die die aus Dresden herbeigeschafften Mitglieder der Hofoper präsentierten. Mit dem siebenjährigen Krieg war dann alles vorbei: der König flüchtete, Preußen richtete in Schloss und Park sein Hauptquartier ein und nicht nur die Nagelwerke überstanden das alles schlecht. Nach dem Krieg war Sachsen ruiniert und niemandem mehr an großen Festen in einem heruntergekommenen Areal gelegen. Allein der Gärtner verrichtete weiter seine Arbeit zwischen Rabatten, Beeten und dem, was von der einstigen Schönheit geblieben war.

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Kontinentaldrift

Martin Beheims „Erdapfel“, der älteste erhaltene Globus, stellte 1493 die Erde noch ohne das gerade entdeckte Amerika dar. Nicht lange danach fand der Doppelkontinent seinen Platz auf den Weltkarten und so blieb es für nahezu drei Jahrhunderte. Dann kam, wie jeder weiß, mit James Cooks Entdeckung Australiens ein neuer Erdteil hinzu.
Leider entspricht das nicht der historischen Wahrheit, denn bereits 1606 hatte der Holländer Willem Janszoon von Java aus die australische Nordküste an der Kap-York-Halbinsel erreicht. Auch die Portugiesen reklamieren heute die Entdeckung für sich, wegen ihrer Handelsschiffe, die auf der Suche nach den Gewürzinseln schon um 1530 bis in das indonesische Archipel vorgestoßen waren.

Lange Zeit befassten sich weder Politik noch Kunst oder Literatur mit dem fünften Kontinent, mangelndes Potential für den Handel mag ein Grund gewesen sein. Jedenfalls erfreuten sich Barock und Rokoko, diese große Ära allegorischer Darstellungen, weiterhin nur an phantasievollen Abbildungen der kontinentalen Vierergruppe aus Europa, Asien, Afrika und Amerika. Sie bevölkerten, oft als Doppelfiguren, Treppenhäuser und intime Salons, Wandelgänge, Gartenanlagen und Orangerien. Vielleicht war es die barocke Lust an der Symmetrie, die die australische Störung ignorierte. In Großsedlitz stehen die Vier als prachtvoll geschmückte Skulpturen im oberen Teil der Waldkaskade.


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Herrschaftliche Riesenspielzeuge

Nicht alles begann in Versailles, schon gar nicht, was André Le Nôtre betrifft. Dieser hervorragende Gartenarchitekt des Sonnenkönigs hatte die Gesetzmäßigkeiten von Kunst und Architektur studiert, bevor er in den Gärten der Tuilerien zu arbeiten begann. Aber erst seine phänomenalen Arbeiten für den königlichen Finanzminister Nicolas Fouquet erregte die Besitzgier des Herrschers, der seinen Minister zwang, ihm den Künstler zu überlassen.

Von da an gestaltete Le Nôtre die bedeutendsten französischen Gartenanlagen, in Versailles, Chantilly oder Fontainebleau, und setzte damit sowohl Maßstäbe als auch Standards. Kupferstiche und Radierungen seiner Arbeiten liefen wie Modellbücher durch ganz Europa und wurden bewundert und nachgeahmt. Die Rationalität der französischen Aufklärung spiegelte sich in diesen Anlagen, nichts wurde dem Zufall überlassen, alles war kunstvoll, symmetrisch und regelmäßig. Aus der Vogelperspektive der Kupferstiche wirken die Broderien, Bosketten und Bowling Greens der Parks wie Stickereien und Verzierungen auf dem prächtigsten Gewand ihrer Besitzer.


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ACW oder Die wiedergefundene Zeit

In einem Raum der Oberen Orangerie träumt eine hübsche mechanische Konstruktion vor sich hin: ein Uhrwerk, das einst im Glockentürmchen des Großsedlitzer Schlosses für das Anzeigen der rechten Uhrzeit sorgte. Der Barockbau mit den beiden Flügeln, unter Graf Wackerbarth für Friedrich August II. fertiggestellt und nach ihm benannt, wurde im 19. Jahrhundert vom sächsischen Hof wenig genutzt und war um 1870 so marode, das man ihn abriss und aus Geldmangel nur den östlichen Flügel wieder aufbaute. Die Turmuhr und beide Bronzeglocken verschwanden auf dem Dachboden und wurden erst vor ein paar Jahren wieder entdeckt. Bei der Herrichtung des Uhrwerks wurde neben der Erneuerung diverser Einzelteile auch das Pendel ergänzt und mit den Initialen des ursprünglichen Bauherrn verziert.

Dieser August Christoph von Wackerbarth war von umtriebiger Natur und nicht nur ein begnadeter Redner, sondern auch ein begeisterter Ingenieur und Festungsbauer, den Kurfürst Johann Georg III. schon in seiner Jugend auf Bildungsreise quer durch Europa geschickt hatte. Seine Fähigkeiten setzte er unter August dem Starken auf so vielen Feldern ein, dass die Hofgesellschaft ihm aus gelbem Neid oft und gern Schlechtes nachsagte. Großsedlitz hatte er sich als Alterssitz ausgebaut, worüber sein Landesfürst großherrlich hinwegging. Die Initialen auf dem goldenen Pendel erinnern daran.


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Bewunderte Bizzarerien

Barocco bezeichnet im Portugiesischen eine unregelmäßig geformte Perle, die dieser Epoche des Überschwangs ihren Namen gab. Man liebte das Außerordentliche und so drängten sich in Wandelgängen, Gärten und Parks seltsam geformte, gefurchte Bitterorangen, Melarosa- und verschiedene Arten von Cedratzitronen neben bizarren Kuriositäten wie der Deutschen Landsknechtshose oder der vielfingrigen, bis zu vier Kilo schweren Hand Buddhas. Über alle Maßen beliebt waren Pomeranzen, wegen des Dufts ihrer Blüten, der ätherischen Öle für die Parfümmanufakturen und dem alle verzaubernden goldenen Funkeln im glänzenden Laub.

Fürsten sahen darauf, dass ihre Gärtner sich um außergewöhnliche Sorten bemühten und untereinander tauschten die adligen Damen und Herren oft geschickt und kenntnisreich Samen und Pflanzen. Wohlhabende Kaufleute taten es ihnen nach, der Nürnberger Kaufmann Johann Christoph Volkamer veröffentlichte sogar 1708 mit seinem „Hesperidenwerk“ eine gründliche und systematische Darstellung der Gattung Citrus. Orangenliebe vergeht nicht, das können fruchtige Schatzkammern wie Potsdam, Schönbrunn oder Großsedlitz auch nach Jahrhunderten bezeugen.


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im Fluss der Zeit

Am Ursprung liegen der Fluss und der Wald. Sorbische, dann deutsche Siedler schlagen Schneisen durchs Dickicht, machen das Land urbar und gründen das Dorf. Es kommt zu Böhmen, später an Kursachsen. Ein Lehnsbrief aus dem 15. Jahrhundert schreibt die Abgabe von Hühnern, Käse, Korn und Eiern an den Landesherrn fest, erwähnt eine Mühle, ein Brauhaus und Fischteiche. Kriegs- und Brandschadensberichte erzählen von Ställen für Schafe, Kühe und Pferde, von Gärten und Obstbäumen. Das Gut wächst, der Ertrag auch und das nahe liegende Dresden wird von nun an beliefert.

August Graf Wackerbarth kauft das Anwesen und beginnt groß zu bauen. Auf dem Gut dürfen Gemüse-, Kraut- und Obstgarten bleiben, der Küchengarten wird zum Weinberg, Orangenbäume kommen hinzu. Der Graf kauft anliegendes Land, im nahen Wald findet man Trüffel und der Ertrag der neu angelegten Spargelfelder ist so hoch, dass sich der Dresdner Adel über den Geschäftstüchtigen neidisch echauffiert. Alles fällt schließlich dem Kurfürsten ins Auge, er beginnt groß, doch für das Ordensschloss reichen Interesse und Geld doch nicht aus. Was bleibt, ist ein Wunderpark. Und die Orangen.


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Herakles, Herrscher und Held

Groß, stark, voll Kampfeslust und Siegesmut und mit dem Versprechen auf Ruhm und Unsterblichkeit schien Herkules geradezu erfunden zu sein, um den absolutistischen Herrscher zu verherrlichen. So explodierten mit dem Barock seine Abbildungen in Malerei und Skulptur geradezu und mancher standesbewusste Fürst nahm viel zu viel Geld in die Hand, um die schönste und größte Figur zu besitzen.

Unter Kurfürst Johann Georg III. wurde der erste Herkules im kleinen Schlosshof aufgestellt. Nachfolger Friedrich August sah in dem Halbgott sein wahres Ich und ließ sich nicht nur auf Medaillen in dieser Gestalt abbilden. Bedeutungsvoll trägt die berühmte Figur am Wallpavillion im Zwinger die Last der Welt auf ihren Schultern, ein anderer Herkules bewacht die gleichnamige Allee im Großen Garten.

In Großsedlitz steht dagegen ein schon müder Kämpe, den Arm auf seine Keule gestützt, vielleicht ein Sinnbild des kranken, erschöpften Fürsten in seinen letzten Lebensjahren. Mit den hinter dem Rücken versteckten Äpfeln der Hesperiden in der Hand verweist dieser Herkules noch einmal auf die vom König so geliebten goldenen Früchte vom Zitrusbaum.


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Ein Paradiesapfel der anderen Art

„Ihr sollt am ersten Tage Früchte nehmen von schönen Bäumen, Palmwedel und Zweige von Laubbäumen und Bachweiden und sieben Tage fröhlich sein.“ So steht es im Buch Mose zum Laubhüttenfest Sukkot, das Juden jedes Jahr im Herbst feiern. Sie erinnern so an die vierzig Jahre, die das Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten durch die Wüste wandern musste.
Aus dem biblischen Gebot entwickelte sich der Brauch, zum Feiertag einen Strauß aus Palm-, Myrten- und Bachweidenzweigen zu binden, zu dem der Etrog, schön geformt und wunderbar duftend, als Vertreter der Früchte hinzukam.

Citrus medica, bei uns Zitronatzitrone genannt, war schon zur Zeit des babylonischen Exils vom Fuße des Himalaya ins Heilige Land eingewandert. Um koscher zu sein, muss die Frucht eine bestimmte Größe haben, ohne Makel und noch mit einem Blütenansatz versehen sein. Oft wird der Etrog in einer Dose aufbewahrt, wunderschöne Exemplare aus getriebenem Silber sind noch in manchen deutschen Museen zu bewundern.


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Seide, Samt und Schnallenschuhe

Die höfische Mode des Barock war von Repräsentanzbedürfnis und Übertreibung geprägt, aber wer weiß heute noch, dass sich die Allongeperücke auch deshalb durchsetzte, weil Ludwig XIV. mit ihr sein frühzeitig kahl gewordenes Haupt bedeckte. Alle Augen schauten auf Paris und die neueste Haute Couture. Man trug Chic in Seide und Spitze, die Schuhe der Kavaliere näherten sich in Form und Absatz immer mehr denen der Damen an und bei bis zu zehn Zentimeter Absatzhöhe waren die meisten froh, zuhause in weiche Kalbslederpantoffeln schlüpfen zu können.

Kleiderordnungen galten im Barock wie in den Jahrhunderten zuvor, der Hochadel trug Goldstickerei, der Bürger Wolle. Kleidung war teuer, Abgetragenes wurde nicht ausgemustert, sondern oft zerlegt und neu verwendet. Man variierte gern mit auswechselbaren Knopfgarnituren und Schnallen oder Schleifen für die Schuhe: je höher der Stand, desto kostbarer die verwendeten Materialien. In Dresden standen für die Erfüllung königlicher Wünsche, wie man den Hofkalendern der Zeit entnehmen kann, nicht nur Schneider, Schuster, Juweliere, Täschner und Beutelmacher, sondern auch ein Peruqier, ein italienischer Hoflieferant und sogar ein Federschmücker bereit.


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Melancholische Metamorphosen

ER, König von Trachos, bestieg ein Schiff, um zum Orakel nach Klaros zu segeln. SIE, Tochter des Aiolos, sah Unheil bringendes Wetter voraus. Und wirklich versank im aufkommenden Sturm das Schiff mitsamt der Besatzung. Nachdem Morpheus der Zurückgeblienen im Traum die traurige Botschaft zugeflüstert hatte, lief sie zum Strand und sah ihren Mann tot im Wasser treiben. Erfüllt von Trauer sprang sie von einer Klippe in den Tod. Doch die Götter fühlten Mitleid und verwandelten die Liebenden in blaublitzende Eisvögel.

Die Geschichte von Alkyone und Keyx erzählt Ovid neben vielen anderen in seinen Metamorphosen. Ohne ihn wüsste die Nachwelt nicht sehr viel über griechische und römische Mythen. Kunsthistoriker sagen, dass Mitglieder ihrer Zunft wenigstens zwei Bücher gelesen haben müssten, die Bibel und Ovids monumentales Gedicht. Die Gartenlandschaft des skulpturenverliebten Barock, auch die im Großsedlitzer Park, ist ohne Doppelgruppen wie Alkyone und Keyx, Meleager und Atalante oder Narcissus und Echo nicht einmal zu denken.


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Orangengold und Zitrusglück

Seit der Renaissance verbreitete sich in Europa die Lust an exotischen Gärten mit subtropischen Pflanzen wie Feigen, Myrten, Zitronen- und Orangenbäumen. Auch der Dresdner Hof hatte bereits um 1590 einen „Churfürstlichen Pommeranzen Garten“. Das wahre Orangenfieber brach reichlich hundert Jahre später aus und befiel, wie kann es anders sein, auch den in fast allen Dingen manisch-begeisterten August den Starken. Ging es um die herrschaftlich goldenen Früchte, kleckerte er nicht, er ließ klotzen. Die Kosten aller unter seiner Herrschaft gekauften Orangenbäume sollen den Wert des berühmten Grünen Diamanten um das Anderthalbfache übertroffen haben. Und so schmückten vorrangig Pomeranzen genannte Bitterorangen, aber auch Zitronenbäume die Gärten von Pillnitz, Großsedlitz und den Zwinger, der ursprünglich als eine riesige königliche Orangerie geplant war.

Im Sommer ließen die in Kübel gepflanzten Kostbarkeiten sich recht einfach pflegen, im damals weitaus frostreicheren Winter benötigten sie aber eine geschützte Unterbringung. Wieder einmal wurde Versailles zum Vorbild. Nicht nur gab es dort bereits Mitte des 17. Jahrhunderts ein großes Pflanzenhaus; André Le Nôtre, berühmter Landschafts- und Gartenarchitekt Ludwigs XIV., erfand einen Kübel-Transportwagen, der das Bewegen der Pflanzen erleichterte. Um die Transporte der tausenden, oft bis zu zwei Meter hohen empfindlichen Pflanzen in die Winterquartiere musste man, vor allem in der damaligen Zeit, keinen Gärtner beneiden.


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Ein Lächeln überm Löwenleib

Rätselhaft wie eine Sphinx hieß es früher oft, eine Anspielung auf jenes seltsame Zwitterwesen aus lockenköpfiger Frau und geflügeltem Löwen, das nahe der Stadt Theben jedem Reisenden auflauerte und umbrachte, wenn der ihr Rätsel nicht lösen konnte. Erst Ödipus, der verstoßene Sohn des thebanischen Königs, fand die Antwort und das scheußliche Monster seinen Tod.

In der griechisch-römischen Tradition galten Sphingen daher als heimtückisch und gnadenlos, was die Römer aber nicht davon abhielt, eine Zeitlang nahezu alles, von Bauten bis hin zu alltäglichen Gebrauchsgegenständen, mit ihnen zu verzieren. Über die Jahrhunderte und mit dem Bekanntwerden der ägyptischen Funde veränderte sich das Bild der Sphinx, sie wurde männlich, oft mit Kinnbart und Pharaonenhaube und sehr viel wohlwollenderem Wesen. Die aufkommende Begeisterung für den Orient tat im Barock ein Übriges und so finden sich Sphingen als freundliche Wächter in vielen bekannten Gärten dieser Zeit.


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Von Schiffspech und Pechvögeln

Wie schlimm es die faule Marie traf, weiß jedes Kind. Dass flüssiges Pech so fest wird, dass es nicht mit Auskämmen getan war, vielleicht aber nicht. Schon die Jäger der Altsteinzeit nutzten diesen leicht herzustellenden, gut handhabbaren Kunststoff zur Befestigung ihrer Pfeilspitzen. Bis ins 19. Jahrhundert war er als Nebenprodukt der Teerherstellung begehrt für alle Arten von Abdichtung und Imprägnierung, wurde aber auch als Pechpflaster, Fackelkopf oder Schusterpech verwendet. Man fing Vögel mit Pechruten und pries einst sogar eine ominöse Mischung aus Pech und Rosenhonig als Mittel gegen die Pest.

Noch bis ins 19. Jahrhundert benötigten Böttcher das Pech zum Auspichen der Fässer und so besaßen Güter, die selbst in großem Maßstab Bier brauten und genügend Holz zur Verfügung hatten, auch oft eine Pechhütte mit einem Ofen. Auf dem Gut Großsedlitz gab es seit 1721 eine Brauerei, eine dazugehörige Pechhütte wurde erstmals 1834 aktenkundig. Nur zehn Jahre später brannten sowohl die Brauereigebäude als auch die nahebei gelegene Sarische Mühle ab. Von der Mühle blieb das Wasserrad, von der Pechhütte das wieder aufgebaute Haus und der Name, den heute auch der ortsansässige Kunstverein trägt.


01

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Der sächsische Sonnenkönig

An einem Junitag des Jahres 1687 öffneten sich die Tore von Versailles einem hochaufgeschossenen Siebzehnjährigen, der gerade seine Kavalierstour absolvierte. Von Pracht, Schönheit und Reichtum am Hofe Ludwigs XIV. überwältigt, verfiel er einer Amour fou, die ein Leben lang hielt. Friedrich August, genannt der Starke, Zweitgeborener des sächsischen Kurfürsten Johann Georg III., konnte nach dem frühen Tod des älteren Bruders seinem großen Vorbild nacheifern: sammeln, vor allem kostbares Porzellan und schöne Frauen, sich schmücken, mit französischen Seidenroben und kostbaren Edelsteingarnituren, und vor allen anderen Dingen bauen, auch wenn ihm oft das Geld ausging.

Gern übernahm er Schlösser und Anlagen, die ihm die Besitzer mehr oder weniger freiwillig überließen: das Holländische Palais und Schloss Übigau verkaufte ihm der sehr geschäftstüchtige Heinrich Graf Flemming, während er seinem Kabinettsminister Christoph August von Wackerbarth das Gut Großsedlitz mehr oder weniger abpresste. Bei der Umgestaltung ließ sich der Schüler Wolf Caspar von Klengels nichts vormachen, vielmehr gingen seine Vorschläge durchaus in die Planung ein, wovon viele handschriftliche Skizzen des bauwütigen Wettiners heute noch zeugen.