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Alea iacta est
Eine große, silberne, ovale Schale wird auf den Tisch gestellt. Es ist April oder Mai in Herrnhut und vier Personen sind im barocken Sitzungszimmer des Vogtshofes versammelt, um aus den über 1000 Kärtchen die Bibelsprüche für jeden Tag eines Jahres zu ziehen.
Graf Zinzendorf gab der Brüdergemeine in der gewohnten „Singstunde“ am 3. Mai 1728 die erste Losung mit auf den Weg: „Liebe hat ihn hergetrieben, Liebe riß ihn von dem Thron, und wir sollten ihn nicht lieben?“. Von nun an ging jeden Morgen ein Bruder zu den 32 Häuser des Ortes und trug die Losung des Tages vor, einen Bibelspruch aus dem Alten Testament. Tatsächlich werden diese Sprüche seitdem aus der überlieferten Spruchsammlung mit 1829 Spruchkärtchen gelost und seit dem Druck des ersten Losungsbüchleins 1731 geschah das für ein gesamtes Jahr im Voraus. Das Los galt als Mittel, den Willen des Heilands zu erfahren und auch in Heiratsangelegenheiten fanden die Herrnhuter den Heiland solchermaßen für zuständig. Ein Los im Jahre 1859 entschied so über die Ehe von Maria Heyde mit dem ihr gänzlich unbekannten in Tibet lebenden Missionar August Wilhelm Heyde. Eine Sonderausstellung in den Schwesternhäusern in Kleinwelka erzählt über das abenteuerliche Leben dieser Herrnhuterin, die 22-jährig allein zu ihrem künftigen Ehemann nach Tibet aufbrach.